: Mit Schwermut vollgestellt
Die Schauspieler schauspielern, hinter ihnen Bilder vom Zweiten Weltkrieg. Harry Hass hält einen Monolog und Anja Plaschg alias Soap & Skin singt: Viel wird aufgefahren in Oliver Sturms Inszenierung von „Nico. Sphinx aus Eis“ in den Sophiensælen
VON JOANNA ITZEK
Sie hieß Nico, doch sie hätte viel mehr Namen gebraucht, für all die Frauen, die in ihr steckten. Im Paris der 1950er Jahre war sie das bildhübsche Vogue-Model, in New York der 60er Andy Warhols Muse und die Sängerin seiner Band Velvet Underground. Später wurde aus Nico eine singende Solokünstlerin und selbst ernannte Göttin der Finsternis, bald heroinsüchtig. Ein Freak-Act, eine, die sogar ihren Sohn anfixte. Sie würde dieser Tage siebzig, wenn sie nicht vor zwanzig Jahren in Ibiza vom Fahrrad gefallen und an den Folgen von Hirnblutungen verstorben wäre.
Werner Fritsch hat Nico, die als Christa Päffgen in Köln zur Welt kam, einen Monolog gewidmet: „Nico. Sphinx aus Eis“ wurde am Freitag in den Sophiensaelen auf die Bühne gebracht. Darin erinnert sich Nico im Moment ihres Todes an ihr Leben. Das Ganze klingt dann bisweilen so: „Schwarze Milch meine Muttersprache / in der Mundhöhle Rauchpilze / aus Ruinen Apfelschimmel aus Raureif.“ In guten Momenten geht Fritschs Text als expressiv durch, lehnt sich an Poplyrik von Bob Dylan und Iggy Pop an. In schlechten Momenten wirkt der Monolog einfach nur flach.
Oliver Sturm inszeniert Nicos Redefluss, indem er ihn auf mehrere Schauspielerinnen verteilt. Da gibt es die Factory-Nico (Effi Rabsilber), die leicht bräsig daherredet und mit Lou Reed (Stephen Jacob) im Bett landet. Ferner stolziert eine Mannequin-Nico umher und sagt so gut wie nichts. Mannequin zu sein galt zu Nicos Modelzeiten nicht als Kunst. Was damals Kunst war, bringt der Ex-Factory-Filmemacher Paul Morrissey auf den Punkt: Sich wie Janis Joplin die Seele aus dem Leib zu schreien und irgendwann an einer Überdosis zu sterben. Womit wir bei der älteren, bereits stark vom Heroin geschundenen Nico wären: Birgit Doll spielt sie in einer fortlaufenden Zeremonie des Todes.
Nico so zu fragmentieren, leuchtet ein bei der Biografie dieser Frau, die sich permanent selbst erfunden und selbst verloren hat. Aber dabei bleibt es nicht. Sturm hat sich den Nico-Theaterabend als mediales Crossover à la Warhol gedacht, angesiedelt zwischen Schauspiel, Popkonzert und bildender Kunst. Also wird mächtig aufgefahren: Die Schauspieler schauspielern. Hinter ihnen flimmern Videos von schauspielernden Schauspielern, außerdem Bilder vom Zweiten Weltkrieg und, warum auch immer, von 9/11. Auf der einen Seite der Bühne stehen Fernsehmonitore und senden Andy Warhols Gesicht in die Welt. Von der anderen Seite versenden die Musiker Gerd Bessler und Alexander Christou Melodien und Geräuschkulissen. Die Stimme von Irm Hermann alias Mutter Päffgen mahnt Tochter Nico durch ein stehendes Megafon: „Schau nicht zurück!“ Und Beatnik, Ex-Junkie und Zeitzeuge Harry Hass hält einen improvisierten Monolog über den Tod.
Es ist wirklich viel da. Und nichts kommt zusammen.
Was denn nun Nico zu der Ikone macht, die sie ist, würde bei diesem Theaterabend völlig untergehen – wäre da nicht Soap & Skin. Eigentlich heißt sie Anja Plaschg, ist 18 Jahre alt und kommt aus der Steiermark.
Plaschg singt für die Inszenierung Nicos Lieder. Und zwar mit großer Hingabe und einer erschütternden Traurigkeit in der Stimme. Die junge Frau erweckt in einem die Faszination für Nico, vermutlich weil Plaschg selbst so von Nico fasziniert ist.
Das merkt man auch in ihrer musikalischen Arbeit außerhalb dieser Theaterproduktion: Die Pro-forma-Kunststudentin komponiert Lieder, die bis unters Dach mit Schwermut vollgestellt sind, als gäbe es nichts anderes. Ironisch wird sie in ihren Klavier-plus-Elektronikstücken nur, wenn sie versucht, etwas Fröhliches zu singen. Ihre Erscheinung auf der Bühne hat fast etwas Vampirhaftes. Zierlich von Gestalt, die dunklen Haare verwuschelt steht sie da, ganz blass, fast durchsichtig. Und ist die Engagierteste von allen.
Wieder vom 25.–29. November, 20 Uhr Sophiensæle