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Archiv-Artikel

strafplanet erde: zu wenig congratulations für willie nelson von DIETRICH ZUR NEDDEN

Dankbar, um ein ganz altmodisches Wort zu benutzen, bin ich dem Mann für einiges. Für viele seiner Songs; für ein bestimmtes, unvergleichlich bezauberndes Konzert; für die Seltsamkeit seiner Haltung; und für Zweizeiler wie diese: „Der frühe Vogel fängt den Wurm, aber die zweite Maus kriegt den Käse.“

Kommen Sie also alle rein, setzen Sie sich hin und dann erheben wir uns von den Plätzen und das Glas auf … nein, schon falsch. Tamtam und Trara zu seinem siebzigsten Geburtstag würde er jovial ablehnen, würde lieber – nun sind wir mitten drin im idealisierenden Porträt – die Gitarre namens Trigger zur Hand nehmen, um seiner Großfamilie und den zahlreichen Freunden einen Song zu spielen („Crazy“), die Stimme zart, aber nicht zerbrechlich, voller Wärme und Vertrauen.

Ob die hiesigen Würdigungen für Willie Nelson, geboren am 29. April 1933 in Abbott, Texas, so zahl- und umfangreich werden wie bei Dylans Sechzigstem oder Cashs Siebzigstem, ist unwahrscheinlich. Für uns Alteuropäer scheint er schwieriger zu fassen, und im Laufe von fünfzig Jahren im Showbusiness hat er ein paar Metamorphosen durchlebt. Anfangs Hitlieferant für Patsy Cline und Faron Young, in den Siebzigern dann dauernd unterwegs als „Red Headed Stranger“ oder „Shotgun Willie“; ein Jahrzehnt später interpretierte er Standards und seit den Neunzigern fungiert er als „Abe Lincoln of American music“. Aber er sieht anders aus: Die Haare trägt er länger als der späte Wolfgang Neuss; je nach Foto erinnert er (trotz oder gerade wegen des Vollbarts?) an eine alte Zigeunerin, an einen Indianer, und als musterhafter Outlaw gilt er sowieso, obwohl er es längst nicht mehr ist. Sein Repertoire vereinigt Pop-Songs und Country-Balladen, Broadway-Melodien und nonchalante Jazz-Improvisationen, jede Menge Blues und manchmal fiesen Rock: „What sounds like compromise from our heroes sounds like wisdom from our fathers“, wie Adam Gopnik im New Yorker schrieb. Eine mythische Vaterfigur, ein Südstaatler als Hippie, der Außenseiter als Integrator: der Mann, der die feindlichen Parteien aus „Easy Rider“ miteinander versöhnte.

In der Spex, es wird Ende der Achtziger gewesen sein, las ich eine Hommage an Willie Nelson. Detlef Diederichsen hatte sie geschrieben und den Song „Hello Walls“ erwähnt, in dem Nelson als von der Geliebten verlassener Liebender nacheinander Wände, Fenster und Decke seines Zimmers ansingt: Untröstliche Einsamkeit. Später griff Kinky Friedman ein. Sein Roman „Road Kill“ spielt über weite, lange Strecken in und um „Honeysuckle Rose“, wie der Bus heißt, mit dem Willie Nelson und seine Entourage seit Jahrzehnten von Konzert zu Konzert rollen. Im Finale des Buches steht Nelson an der Küste einer Insel und schlägt im Mondlicht Golfbälle ins Meer. Der Kinkster nähert sich und vermutet, dass Nelson im Geiste Moses’ oder Thoreaus eine Art Mantra rezitiert, im Gespräch mit Gott, mit den ewigen Kräften der Natur, so was in der Art. Dann versteht er schließlich, was Willie Nelson sagt: „Scheiße, ich hab den Hurensohn mit Schnitt gespielt.“