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Archiv-Artikel

LONG PLAYING RECORD * Jukebox - Der musikalische Aszendent

Überzeugt spielend – Sonny Rollins

Verdammte Kunstkriterien! Schaut man sich heute an, welche Saxofonisten des Jazz heute als die zentralen Firguren des Genres gehandelt werden, so sind es immer die, deren Tun irgendwann einmal die Regeln gebrochen und ein neues Paradigma hervorgebracht haben: John Coltrane, Ornette Coleman, Albert Ayler. Der, der die Regeln besser als irgendjemand ausgelegt und angewendet hat, wird nur selten genannt.

Dabei ist Sonny Rollins der große Improvisator des Tenorsaxofons, der einzige wirkliche Gegenspieler von John Coltrane. Während Coltranes Improvisation im Laufe der Zeit immer abstrakter werden, versucht Rollins immer wieder aufs Neue, sich dem melodischen Kern eines Stücks anzunähern. Immer wieder einmal verschwand Rollins, um Jahre mit Üben zu verbringen. Mal stellte er sich monatelang an die Brooklyn Bridge, um jeden Tag stundenlang zu spielen, dann zog er sich jahrelang in sein Haus in Upstate New York zurück. 78 Jahre ist er mittlerweile alt, wer weiß, wie oft er noch nach Berlin kommen wird.

Motivische Interpretation könnte man Rollins’ künstlerische Methode nennen, und besonders schön kann man das in einem Stück von „Sonny Rollins On Impulse!“ hören. 1965 hat Rollins sie für Impulse! eingespielt, damals die Plattenfirma, wo viele der Neutöner ihre Musik veröffentlichten. Es war eine von drei Platten, die Rollins für das Label aufnahm – danach hörte er wieder für Jahre auf, Platten zu machen. „Green Dolphin Street“ heißt das Stück, ist ein Jazzstandard, eines der Stücke, das hunderte von Musikern in ihrem Repertoire haben. Und vom ersten Ton an hört man, wie Rollins ein Stück aufbaut, er schleicht sich in das Thema hinein, um es dann nicht mehr loszulassen. „On Green Dolphin Street“ war die Titelmelodie eines Hollywood-Films von 1947, Bronislau Kaper hat es geschrieben, ein Hit wurde es nie. Es ist ein trauriger Song, der von seiner Melodielinie getragen wird – perfekt für Rollins.

Rollins ist einer der wenigen Saxofonisten, die auch alleine aufgetreten sind.

Er ist dafür bekannt, manchmal spielend den Saal zu betreten, ihn spielend zu durchqueren, auf der Bühne weiterzuspielen und dann irgendwann spielend wieder wegzugehen. Improvisation als Prinzip.TOBIAS RAPP