: Todesstrafe für den Vorboten Bin Ladens
Neun Jahre nach den Giftgasanschlägen auf die Tokioter U-Bahn wird Sektengründer Shoko Asahara verurteilt
Rückblickend war er der vielleicht wichtigste Vorbote Ussama Bin Ladens. Denn wenn überhaupt ein Verbrechen Modell stehen konnte für den Terrorangriff auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001, dann war es der von Shoko Asahara sechs Jahre zuvor ersonnene Giftgasanschlag auf die Tokioter U-Bahn. Beiden Verbrechen lag die Vision einer Zerstörung des modernen Metropolenlebens zugrunde, die vor willkürlichem Massenmord nicht zurückschreckte. In beiden Fällen war die Vision mit der Hoffnung auf den Untergang der urbanen Zivilisation verknüpft und nährte sich aus altreligiösen Motiven. Nur leitete sich Asaharas Kampf aus dem Buddhismus ab – und erwies sich damit als im Kern nicht militant genug, um seine Gefolgschaft dauerhaft in den Bann zu ziehen.
So steht der 48-jährige Gründer der Sekte Aum Shinrikyo („Höchste Wahrheit“) am Tag der Verkündung seines Todesurteils in Tokio, wieder im Rampenlicht. Dabei entwickelte der Sohn eines armen Tatamimattenherstellers schon früh den Hang, aus dem Rahmen zu fallen. Halbblind geboren, ist er gezwungen, die Blindenschule zu besuchen. So fühlt er sich betrogen, verabscheut seine blindentypische Arbeit als Masseur und gründet eine eigene Meditationsgruppe. Seine angebliche Erleuchtung erlebt er Mitte der Achzigerjahre, in einer Zeit, in der sogar der Dalai Lama es nützlich findet, mit Asahara religiöse Gespräche zu führen. Bald erhält er Zulauf unter jungen Intellektuellen, bekommt das Guru-Image und fühlt sich stark genug, in die Politik einzusteigen. Asahara führt Wahlkampf mit orangefarbenen Fahnen und friedlichen Botschaften – doch scheitert am Wählervolk.
Anschließend setzt Asaharas Radikalisierung ein. Im Lager seiner Sekte am Fuße des Fujiyamas bereitet er sich auf den Weltuntergang vor, den er für das Jahr 1997 voraussieht. Nun pflegt er den Persönlichkeitskult; die Anhänger dürfen von seinem Blut und seinem Badewasser lecken. Doch bleibt der Guru hellwach: „Asaharas Krisensinn ist so stark entwickelt, dass er damit die Gesellschaft erreicht, obwohl er vom sozialen Leben ausgeschlossen ist“, urteilt seinerzeit der Religionswissenschaftler Susumu Shimazono. Tatsächlich bedient sich Asahara der alltäglichen Jugendkultur.
„Der Angeklagte organisierte eine Verschwörung, um Sarin-Nervengas über Tokio zu verbreiten, die Hauptstadt zu zerstören und seine eigenes Königreich aufzubauen, und er gab den Auftrag zur Errichtung einer Sarin-Fabrik“, urteilte gestern sein Richter Shoji Ogawa. Nach acht Jahren Prozess mit 257 Sitzungstagen sprach Ogawa Asahara in allen Anklagepunkten für schuldig. Sie beinhalteten die Ermordung von 27 Menschen, darunter die zwölf Todesopfer des Sarin-Anschlages auf die Tokioter U-Bahn. Das Urteil aber verdankt seine Überzeugungskraft den ehemaligen Getreuen des Gurus, die vor Gericht gegen ihn aussagten. Sie erwiesen sich als belehrbar – anders als Asahara
GEORG BLUME