: „Ich hatte den Stein schon in der Hand“
Axel schloss sich mit 12 Jahren der Neonazi-Szene in seiner niedersächsischen Heimatstadt an. Er hörte NS-Black-Metal, warb neue Kameraden, schlug auf Antifas ein und baute die Organisation „Autonome Nationalisten“ mit auf. Mittlerweile ist Axel 22 Jahre alt – und will die Szene verlassen
von ANDREA RÖPKE und ANDREAS SPEIT
Er war früh „dabei“, wollte gezielt „da“ hin. Nach langen Jahren in der militanten Neonaziszene sucht Axel nun nach einem Ausstieg. Leicht ist dieser Schritt nicht, weiß der 22-Jährige. Seine Augen schauen leicht verlegen an einem vorbei. Im Gespräch in einem Café irgendwo in Niedersachsen erzählt er mit trotz aller Verlegenheit fester Stimme: „Zuerst war ich Skinhead. Dann habe ich andere Jugendliche rekrutiert, später haben wir gemeinsam auf Feinde der ‚nationalen Bewegung‘ eingeschlagen.“ Der schlanke junge Mann war ein Kader, gebildet und gewaltbereit. Bis vor wenigen Wochen gehörte er zu den „Autonomen Nationalisten“ (AN). Jene militanten Kameradschaften, denen die NPD zu moderat im Programm und zu legalistisch aufs Parlament ausgerichtet ist.
Früher waren seine Haare kurz rasiert. Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel, ein Stil, der ihn schon in der Pubertät faszinierte. Heute fällt er mit seiner hellen Markenkleidung, dem modischen Kurzhaarschnitt und unauffälligem Kinnbart nicht mehr sonderlich auf. Seine schwarzen Szene-Klamotten, die er nach dem Wechsel vom Skin zum Rechts-Autonomen trug, hat er abgelegt. Die Shirts mit den einschlägigen Parolen weggeworfen. Die schwarze Basecap mit den Buttons liegt ganz hinten im Schrank.
Die „Autonomen Nationalisten“ kopieren seit längerem Aktionsformen der Links-Autonomen. Die Dynamik, der Gestus gefällt. „Schwarze Blöcke“ bilden sie seit rund sechs Jahren bei braunen Aufmärschen und brüllen „Fight the System“. Anglizismen stören nicht, betont Axel, der auch für die AN Jugendliche warb. Der modernere Habitus, so Axel sollte allerdings nicht täuschen: „Sie beziehen sich auf den Nationalsozialismus und sind vom italienischen Faschismus ebenso begeistert.“
Wie fing es bei Axel an, dessen Name und biografische Daten aus Sicherheitsgründen nicht offen genannt werden können. Er kennt „seine Kameraden“. In Gedanken rekonstruiert er seine politischen Anfänge: „Ich wollte damals irgendwo hinfinden.“ Was er suchte: Freunde und Gemeinschaft. Er stieg über die Musik ein. Dort, wo er als Jugendlicher lebte, gab es eine rechtslastige Skinheadszene. Wie viele Aussteiger will Axel von Ausländerfeindlichkeit nichts hören: Ihn habe das Militärische fasziniert. „Ich interessierte mich sehr für den Zweiten Weltkrieg. Wir guckten Filme von Guido Knopp – mit Begeisterung.“ So fing sein Weg in die Neonazi-Szene an.
Als Jugendlicher trug er keine „Klamotten“ ohne Nazi-Logos. Seine Mutter störte es nicht. „Sie findet alles gut was ich mache“, sagt Axel. Bei seinem Vater, einem Beamten, ist das anders. Doch die Eltern leben schon lange getrennt. Oft besuchte Axel seinen Vater nicht. Bei der Mutter genoss er die Freiheit, tun zu können, was er wollte.
In den Kneipen seiner niedersächsischen Heimatstadt hatten Axel und seine Kameraden schnell das Sagen. Vor gut fünf Jahren reizte ihn das „Abhängen“ in dieser rechtsextremen Subkultur kaum noch. „Ich wollte richtig politisch sein“, sagt er. 2003 schloss er sich einer Kameradschaft an. Eine junge Frau hielt die „Truppe“ mit zusammen. „Sie war mamahaft-lieb und konnte gut organisieren“, sagt er. Doch wer in der Kameradschaft nicht gehorchte, der wurde auch mal von den eigenen Leuten „vermobbt“.
Bis zu 20 Leute umfasste die Gruppe. Er begann, mit zu Aufmärschen und Sonnenwendfeiern zu fahren. Die Szene war längst seine „neue Familie“, Freunde außerhalb gab es kaum. Er hörte NS-Black-Metal, Konzerte in der Region wurden gemeinsam besucht. Sie provozierten ihr Umfeld gezielt, beispielsweise mit einer Shirtaufschrift wie: „Happy Holocaust“. Am Wochenende kamen sie zusammen. Ihr Motto: „Für Deutschland – gegen die Antifa“. Kein bloßer Spruch, sagt Axel, der sich ideologisch langsam vom Neonaziskinhead zum „Autonomen Nationalisten“ wandelte. Die Kameradschaft zerfiel, Axel gründete die AN mit: „Es ist ein Stadtphänomen, völlig dezentrale Strukturen.“ Jetzt ging es richtig los. „Inhaltlich verstanden wir uns als undogmatisch, uns ging es darum, die Macht an bestimmten Plätzen zu übernehmen. Nationale Freiräume erkämpfen, nannten wir das“, sagt er. Andere Wortführer der AN zeigten sich als radikale Antisemiten. „Jude ist Jude, ab ins Gas“, war so einer der Sprüche, die ihm schon damals nicht gefielen. „Ich hatte immer meinen eigenen Kopp“, sagt er, „ließ mir ungern etwas diktieren.“
Die NPD sei für ihn nur „Mittel zum Zweck“ gewesen. Er besuchte ihre Demonstrationen oder ging zu ihren Veranstaltungen. Begeistert hat ihn dagegen der neue, aggressive Kleidungsstil junger Neonazis, die seit etwa 2002 den Style der Links-Autonomen kopierten. Zwei Jahre später schrieben die AN: „Jeder, der begriffen hat, dass wir mit Betteln nicht weiterkommen, sondern uns unsere Forderungen erkämpfen müssen, kann beim nationalrevolutionären schwarzen Block mitmachen.“ Sie riefen dazu auf: „Suppport your local NS black block“. Vor allem jüngere Neonazis im Alter von 18 bis 25 Jahren schließen sich der so genannten „NS-Bewegung“ an. Eine „militante Randerscheinung“ nannte sie 2007 Verfassungsschutzchef Heinz Fromm lapidar. Heute, 2008, spricht Fromm von einer „neuen Qualität“ der rechtsextremen Gewalt. Besonders ihr aktionistischer Style und ihr erlebnisorientiertes Agieren ziehen an. Rund 500 Personen sollen zu den AN gehören.
Eines der wenigen Theoriepapiere der AN-Vordenker aus Nordrhein-Westfalen heißt: „Der einzig wahre Nationalsozialismus“. Axel machte sein eigenes Ding. „Jedes Wochenendes zogen wir los, suchten Antifas und schlugen zu.“ „Ziele“ wurden oft vorher „abgecheckt“. „Blitzschnell auftauchen, zuschlagen, abhauen, so lief das“, erzählt er verlegen. Axel geriet ins Visier der Behörden, eine Strafe wird er noch antreten müssen. In dieser Szene ist die Gewaltbereitschaft enorm hoch, wiederholt Axel immer wieder: „Die wollen zuschlagen, Respekt vor der Antifa hat da keiner, auch nicht vor der Polizei.“ Ihre Vorgehensweise sei aber nicht von rechtsextremer Literatur inspiriert. Das Buch „Die Kunst des Krieges“, geschrieben vor gut 2.500 Jahren von Sunzi, beeindruckte sie.
Eine der Kriegsweisheiten lautet: „Wenn du den Feind und dich selbst kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten.“ Dementsprechend spionierten sie Antifas hinterher: „Wir wussten fast alles über die, wo die arbeiten und mit wem die liiert sind“, sagt Axel. Wenn Axel über die „Kunst des Krieges“ redet, klingt durch, dass es eine Idee von soldatischem Heroismus und übersteigerter Männlichkeit ist, die ihn fasziniert. Intern gab es ganz andere Themen: Homoerotik und Homosexualität gibt es oft in dieser Szene – besonders die Verleugnung davon. Axel erzählt: „Es hieß immer wieder: Der und jener Anführer ist schwul, hat was mit dem und dem laufen. Aber offen wurde da nicht drüber geredet.“ In seinem Szeneumfeld machten Frauen kaum mit. „Die wenigen sind alle nur Anhängsel“, sagt er und betont: „Die nimmt keiner ernst, sollen aber was für die Werbeeffekte machen.“
Axel sagt, zur Zeit arbeiteten die Anführer der AN, die besonders in Nordrhein-Westfahlen stark auftreten, an einer europäischen Vernetzung. Besonders in Dortmund sind sie sehr aktiv. „Syndikat Z“ sei der deutsche Ableger eines internationalen Projekt-Netzwerkes namens „Zentropa“. Ein eigenes Theoriekonzept bestünde nicht: „Als Ersatz für eine Ideologie dient das persönliche Empfinden von Macht, der Hass und die Genugtuung.“
Ein Tag der „Genugtuung“ wird in der Szene immer noch gefeiert: Der 1. Mai in Hamburg. An jenem Tag marschierten NPD und „Freien Kameradschaften“ unter dem Motto „Arbeit & soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen“ an der Elbe auf. Aus dem Aufmarsch heraus griffen sie Gegendemonstranten, Journalisten und Polizisten an.
Auf Youtube finden sich Clips, die unterlegt mit Rechtsrock zeigen, wie „Autonome Nationalisten“ Polizisten wegdrängen, Bauzäune umreißen und Journalisten schlagen. „Ich war dabei“, sagt Axel etwas leiser. Er erinnert sich bereits an die Hinfahrt im Bus, alle waren ganz euphorisch. Einer schlug vor: „Man müsste die Antifas mit 100 Leuten einkreisen, solange zutreten, bis die tot sind, und dann kann keiner nachweisen, wer es genau war.“ Er selbst jagte an diesem Tag in Hamburg Fotografen. „Ich griff an, hatte schon einen großen Stein in der Hand um richtig –“, er stockt, holt Luft und sagt: „es war für mich ein Schock, den Stein ließ ich fallen, mir wurde klar, wie krass das Ganze eigentlich ist.“ Er sagt, dass er sich schäme.
Seine Freundin hat mit Politik nichts zu tun, sie kann ihm kaum helfen. Ein Aussteigerprogramm wird er vielleicht noch kontaktieren. „Mal schauen“, sagt er und betont: „Das, was ich getan habe, werde ich wieder gut machen.“ Er möchte warnen, auch vor dem 1. Mai-Aufmarsch der Rechtsextremen in Hannover 2009: „Hamburg war eine Initialzündung, Hannover soll DER Event für die Kameraden werden.“
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