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Archiv-Artikel

Der leere Platz

Vor 70 Jahren verbrannten auf dem Bebelplatz gegenüber der Humboldt-Universität Bücher. Das Denkmal des israelischen Künstlers Micha Ullman erinnert daran. Täglich kommen unzählige Menschen an der versunkenen, leeren Bibliothek vorbei, bleiben einen Augenblick stehen und gehen weiter

von WALTRAUD SCHWAB

„Unprätentiös“ wirke der Platz, sagt eine Touristin aus dem Sauerland. Kein Ort, wo man verweilen möchte. „Ihn passieren – das ja“, fügt sie mit einer Vehemenz hinzu, die nicht passen will. Entschlossenheit, die wird benötigt, um einen wilden Fluss zu überqueren oder als Römer die Alpen. Kaum jedoch den Bebelplatz in Berlin.

Die Reisende hat trotzdem Recht. „Man spürt das Ungewisse, das Namenlose“, erklärt sie. Ein gepflastertes Areal ist es. Nördlich grenzt es an die Straße Unter den Linden. Auf der anderen Straßenseite ist die Humboldt-Universität. Im Osten, Süden und Westen wird es von historischen Gebäuden gesäumt: Staatsoper, St.-Hedwigs-Kathedrale, älteste katholische Kirche der Stadt, und ein von der Regierung benutztes Gebäude. Nur die Juristische Fakultät hat ihren Eingang direkt am Platz, den als „unprätentiös“ zu beschreiben es genau trifft: nicht anmaßend, nicht anspruchsvoll, nicht selbstgefällig.

Friedrich dem Großen ist dieser öffentliche Ort zu verdanken. Sumpfland zu seiner Zeit. Sein Forum Fridericianum sollte darauf entstehen. Die Freiheit von Wissenschaft, Kunst und Religion wollte er demonstrieren. Fast zwei Jahrhunderte später haben die Nazis die Idee mit Füßen getreten. Wenn von Bücherverbrennung die Rede ist, wird an den größten aller Scheiterhaufen mitten auf dem Bebelplatz gedacht. Fast jeder hat das Feuer schon mal lodern sehen.

Ein Platz der Freiheiten

Im Gegenlicht werfen die kraftstrotzenden Schergen die Bücher in die Flammen. Studenten waren es in SA-Uniform. Auf Film dokumentiert. Schwarzweiß und unwiderruflich. „So bewahrheitete sich, was Heinrich Heine 200 Jahre zuvor geschrieben hat“, sagt der Reiseleiter, der Touristen über den Platz führt, „ ‚wo Bücher brennen, brennen auch Menschen‘. Und jetzt folgen Sie mir bitte“, fährt er fort. Heines Bücher verbrannten hier.

Andere Namen: Brecht, Einstein, Arendt, Tucholsky, Werfel, Mann, Freud, Zweig. Ein paar von vielen Dutzenden. Die Liste ist lang. Kästner stand am Rand und schaute zu, wie seine Romane ins Feuer flogen. Die Berlinbesucher werden in rasantem Tempo über den Platz geführt. Vorbei an seinem magischen Auge, das anzieht, ohne dass es gesehen wird.

Es ist das Denkmal Micha Ullmans, das an die Bücherverbrennung erinnert. 1995 wurde es in den unterirdischen Straßenbahntunnel, der unter dem Platz verlief, eingefügt: eine hermetisch abgeschlossene, ausgeräumte Bibliothek, die Platz für ungefähr 20.000 Bücher bietet. Durch eine Glasplatte, die oben in den Boden eingelassen wurde, wird der Blick freigegeben auf weiße Regale. Sie sind leer. „It is so simple, but it does speak to you“, sagt eine Amerikanerin. Einfach, aber ansprechend. „Why is it here?“, fragt sie. Es gibt keine dummen Fragen.

Das magische Auge verleiht dem Platz eine eigenwillige Atmosphäre. „Es zieht mich an“, meint eine Berlinerin. „Wenn ich von der Behrenstraße zur Straße Unter den Linden gehe, komme ich daran vorbei. Fast täglich. Ich bleib dann einen kurzen Augenblick stehen. Schau rein. Mehr nicht“, erzählt die Frau.

So wie ihr geht es vielen. Sie kommen. Schauen. Gehen. Ein Liebespaar küsst sich, nachdem es ein paar Schritte davon entfernt ist. Auch eine Art, sich zu versichern, dass es nie mehr so sein wird. Die Frau steht auf Zehenspitzen, um den Mund des Mannes zu erreichen. „Monumento simbólico“, erläutert eine Spanischsprechende ihrer Begleiterin, als sie sich über das Glas beugen. „Die leeren Regale strahlen Trostlosigkeit aus“, sagt wiederum ein Mann aus Konstanz, der auf der Durchreise ist. Seinen Namen will niemand preisgeben. Vertrauen entsteht dennoch.

So viel bewirkt das Mahnmal des israelischen Künstlers, dessen Eltern 1933 emigrierten. „Für mich ist das das beeindruckendste Denkmal“, sagt ein anderer. „Mit grandioser Schlichtheit erinnert es an den Scheiterhaufen.“ Das beeindruckendste Denkmal? „Ja, ich habe viele auf der Welt gesehen. Ich war Studienleiter. Bei einer meiner letzten Führungen sagte jemand: ‚Und jetzt legen wir Harry Potter Band 5 hinein.‘ Verstehen Sie?“

Eine Gruppe junger Leute kommt angeschlendert. „Peace 2000“ steht auf ihren T-Shirts. „Ach, da sind Bücher verbrannt worden und gar keine Leut“, sagt einer. Ein anderer: „Ich traue mich gar nicht, auf das Glas zu stehen.“ Eine Puerto-Ricanerin wiederum meint: „Very impressive“. Dann kommt sie ins Gespräch mit einer Polin. Andere Besucher wissen um den Parkplatz, der ab Juni um das Denkmal herumgebaut wird und der das Monument für eine ganze Weile unzugänglich machen wird. „Das wäre ein Unding, wenn sie es wegmachen würden“, entrüstet sich eine Frau.

Manchmal steht ein alter Mann ein paar Stunden auf dem Platz in der Nähe des Denkmals. Auch er will seinen Namen nicht nennen. Ein Freund der Familie Ullman sei er. Alte Wunden. Als Antifaschist wolle er aufklären. „Die jungen Leute wissen ja gar nicht, um was es geht.“ Mit Engelsgeduld zeigt er, dass mehr zu sehen ist als eine leere Bibliothek. „Bücken Sie sich, dann erkennen Sie, dass sich die Oper, die Kathedrale, die Fakultät im Glas spiegeln.“ Ullman habe das so gewollt. Die Freiheit der Kunst, der Wissenschaft, der Religion sei nichts Flüchtiges. „Sie muss verteidigt werden.“ Dann geht er. Am Wochenende kommt er wieder. Bestimmt.