: Kaufen Sie einen Musiker
Zur Situation nicht geförderter Orchestermusik in Hamburg: Das Ensemble Resonanz widersetzt sich der Einordnung in die Schubladen des Klassikbetriebs – und segelt darum finanziell hart am Wind. Neueste Verzweiflungstat ist eine Aktion, bei der die Orchestermitglieder käuflich werden
Von Ilja Stephan
Das Hören von Musik ist ein Flug durch die Zeit. Einnerung an Vergangenes verschränkt sich mit Gegenwärtigem und Zukünftigem zu einem Spiel aus Wiedererkennen und Erwartung – wo Musik eine echte Zeitkunst ist, macht das ihren Reiz aus. Es liegt also ein kluger Gedanke in der Konzeption des Hamburger Kammerorchesters Ensemble Resonanz, in seinen Programmen auf den Widerhall zwischen den Epochen zu setzen und sich nicht mit der einen oder anderen Marktnische zu begnügen. Statt nur Barock oder nur Moderne zu spielen, mischen die Resonanzler in ihren Konzerten Purcell mit Xenakis, Bach mit Webern, Rameau mit Michael Gordon.
Musikhistorisch betrachtet ist es eine Eigenheit unserer Zeit, dass in ihr Musik der unterschiedlichsten Epochen und Stile gleichberechtigt nebeneinander steht – jede halbwegs gut bestückte CD-Sammlung enthält heute reichere musikalische Schätze, als ein Bach sie in seinem ganzen Leben zu Gehör gekriegt haben mochte. Programme, die dieser Situation gerecht würden, wären eben solche, in denen Beziehungen hergestellt werden und Entlegenes sich wechselseitig beleuchtet. Man fragt sich also, warum es im überalterten Klassikbetrieb eine solche Frischzellenkur trotzdem so schwer haben sollte.
Mögliche Antworten bietet die Geschichte des Ensemble Resonanz, das als Ensemble-in-Residence seit zwei Jahren neben Heizungskeller und Abstellraum in den Katakomben der Musikhalle seinen Sitz hat. Zwischen den Epochen zu springen, wie die Resonanzler es tun, erfordert von den Musikern ein weit über das übliche Maß hinausgehendes Engagement. So etwas leistet nur, wer in eigener Verantwortung arbeitet, und so hat sich das junge Ensemble als selbstverwaltete GmbH von Anteilseignern organisiert und sucht sich sein Programm und die Solisten selbst. Es gibt keinen Chef-Dirigenten, und wo es sich machen lässt, fehlt ein Taktstockschwinger ganz. Man kann es den Musikern nachfühlen. Doch sich basisdemokratisch abzustimmen, erfordert Zeit und Mühe, und die sind für die freiberuflichen Musiker bares Geld. Davon aber spielt selbst eine gut verkaufte Konzertreihe, wie es die „Resonanzen“ inzwischen sind, einfach zu wenig ein. Die Wahrheit ist, Kunst rechnet sich grundsätzlich nicht. Sie bedarf immer der Unterstützung – oder der Selbstausbeutung ihrer Protagonisten.
Und weil auch die ihre Grenzen kennen, haben die Resonanzler nun das Kaufen-Sie-einen-Musiker-Programm aufgelegt, bei dem man (anonym) ein Orchestermitglied erwerben kann wie geneigte Mäzene in früheren Zeiten den Platz auf einer Kirchenbank oder einen Konzertsaalsessel.
Während in Hamburg also eine KlassikPhilharmonie mit nach dem „Hire-and-fire“-Prinzip engagierten Saisonkräften Vicky Leandros begleitet und Haydnmozartbeethoven abnudelt – wofür deren Leiter vom Senat jüngst die Biermann-Rathjen-Medaille verehrt wurde –, müssen feste Ensembles, die bevorzugt Musik von Zeitgenossen spielen, GEMA-Gebühren zahlen und für den Lebensunterhalt ihrer Mitglieder Sorge tragen. Mit einer Kopie der fähnchenschwingenden „Last Night of the Proms“ findet man in der Hansestadt leicht Sponsoren. Mit „Response“, einem musikpädagogischen Projekt, das die Resonanzler bei den letzten Hamburger Musikfesten angeboten haben, nicht.
Dennoch gehen dem Ensemble Resonanz Spieltrieb und Ideen nicht aus, das zeigt auch das Programm des anstehenden vierten Konzerts der Renonanzen-Reihe im kleinen Saal der Musikhalle: Am 23. März widmen sich 23 Musiker 23 Minuten lang der von John Cage in seinem Numberpiece Twentythree vorgenommenen Studie zur Verteilung von Klängen in Zeit und Raum. Dies kontrastiert musikalisch mit Richard Strauss‘ Studie für 23 Solostreicher Metamorphosen, in der der Altmeister Beethovens Eroica-Trauermarsch zu einem Abgesang auf das im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs untergegangene alte Europa verwandelt. Solist bei Karl Amadeus Hartmanns Concerto funebre, dem einzigen Stück des Abends, das nichts mit der Zahl 23 zu tun hat, wird der junge französische Violinist Renaud Capuçon sein, den man in Hamburg jüngst sowohl beim NDR als auch mit einem eigenen Soloabend erlebt hat. Die Musiker des Ensemble Resonanz kennt Capuçon schon seit Jahren und schätzt sie auch deshalb so, weil sie, wie er ihnen gerne attestiert, um der Musik willen genauso verschwenderisch mit ihren Ressourcen umgehen wie er selbst: „Ich komme fünf Tage vorher, und wir Proben so lange, wie es eben braucht.“ So sollte das eigentlich immer sein.
Resonanzen 4: 23. 3., 20.00 Uhr, Musikhalle, kleiner Saal