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Archiv-Artikel

Aufstand der Dinge

Die Einstürzenden Neubauten demonstrierten im Tempodrom einmal mehr, wie man aus lauter Plunder auch noch die feinsten Klänge holt

Ohne Blixa Bargeld ginge dieser ganze Wahnsinn wahrscheinlich nicht

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Andrew Unruh sieht aus wie ein New Yorker Dogwalker, dem gerade die Hunde durchgehen. An Leinen schleift er beim Konzert der Einstürzenden Neubauten am Samstag im Tempodrom ein paar leere Blechcontainer für Olivenöl über die Bühne. Oder schleifen sie ihn? Jedenfalls fliegen sie herum wie Marionetten, die ein eigenes Leben angenommen haben. Dabei nimmt Unruh mit einem schnurlosen Mikrofon ihr Geschepper ab.

Die Einstürzenden Neubauten sind eine der wenigen Bands, die live zu sehen wirklich interessant ist. Sie sind eine richtige Band, mit einer Front aus Gitarristen, Bassisten und extrovertiertem Sänger. Aber man ist als Zuschauer nicht dazu verdammt, sich zwei Stunden lang ödes Klampfen-Gepose und selbstverliebte Sänger-Gockeleien zu betrachten. Sie können einen bösen, technoiden Lärm fabrizieren, wenn sie nur wollen. Aber sie sind keine Nerds, die sich einen Abend lang über Computer, Synthesizer und andere Geräte beugen, die aussehen wie die Steuerung der Klimaanlage und bei denen man nie so genau weiß, wo das Getöse jetzt eigentlich genau herkommt.

Sie benutzen für ihre besondere Variante des fein ziselierten Herumlärmens immer noch den Plunder, den die meisten von uns liegen lassen würden, sollten sie auf dem Bürgersteig über ihn stolpern: Stangen, Spiralen, Dosen. Oder halt eine „Straßenbegrenzung aus Zagreb, die uns förmlich angefleht hat, sie aus ihrem Dasein als Straßenbegrenzung zu befreien“, wie Blixa Bargeld launig zwischen zwei Songs anmerkt. Man muss nur wissen, wo man sie anschlagen muss, dann klingt sie ziemlich gut.

Das tun sie nun schon seit einem Vierteljahrhundert. Sie sind die letzten Überlebenden der deutschen Spielart von New Wave. Die einzigen, die nie ein Comeback ausrufen oder von nachgeborenen Krach-Historikern und The-Wire-Redakteuren wieder entdeckt werden mussten. Sie waren einfach immer da. Und sie machen immer noch eine Musik, die sonst niemand macht. Auch wenn sie dabei nicht besonders gesund aussehen, sind sie noch lange keine lebende Lärmleichen. Im Gegenteil: Wer sich unter einem Konzert der Neubauten ein ununterbrochenes Furioso vorstellt, irrt. Ihre Musik lebt von ihren retardierenden Momenten. Sie geht nie richtig los oder ab. Sie verharrt, zögert hinaus und geht dann eher noch mal einen Schritt zurück, bevor sie ihr Publikum mit Krawallattacken plättet. Sie ist von berührender Ökonomie der Mittel. Mit dem krachenden Sturm und Drang warten sie bis zu den Zugaben. Bis es wirklich gar nicht mehr anders geht und sie einen veritablen Aufstand der Dinge hinlegen.

Über weiten Teilen des Konzerts – wie auch über ihrer neuen Platte „Perpetuum mobile“– liegt jedoch die mittelschwere Melancholie von Männern, die in die Jahre gekommen sind. Die Anzüge spannen ein bisschen, und Jochen Arbeit muss sich mit guten Schlucken aus einem Halbliterglas Wodka-Lemon für die nächsten Folter seiner Gitarre stärken. Aber sie können nicht von dem ablassen, was sie da tun. Auch wenn es immer noch ziemlich merkwürdig ist. Und gleichzeitig ziemlich nahe liegend. Eigentlich könnte jeder im Publikum, der ein bisschen Rhythmusgefühl hat, solche Musik produzieren. Es macht halt bloß niemand. Aber Tausende im Tempodrom grinsen breit, wenn da auf der Bühne auf ein argloses Stück Altmetall eingeschlagen wird. Und das ist ziemlich toll. Interessanterweise profitiert die Musik der Neubauten kaum von dem bei Rockkonzerten üblichen Lärmpegel. Blixa Bargeld entschuldigt sich zwar gleich beim ersten Stück eloquent dafür, dass es nicht laut genug ist. Und die bei solchen Auftritten wohl unvermeidbaren regressiven Elemente grölen in stilleren Momenten immer wieder: „Lauda!“ Aber darum geht es hier nicht. Die Musik der Neubauten ist Klangforschung. Hüllkurven zu erzeugen, wie Andrew Unruh sie mit einer schlichten Metallplatte hinkriegt, ist am Rechner noch kaum jemandem gelungen.

Die Neubauten können einen bösen, technoiden Lärm fabrizieren, wenn sie nur wollen

Die komischen Quietschgeräusche, die klingen als seien sie mit einem megaschlauen Computerprogramm am Laptop gebastelt worden? Die macht Andrew Unruh, indem er ein Mikrofon an Pappbechern entlangschleift, die in Plastikfolie eingeschweißt sind. Und die weichen Bassklänge, die aus einem superraren Vintage-Synthesizer zu kommen scheinen, den Bob Moog leider nie gebaut hat? Wurden erzeugt, indem man Pressluft durch eine Plastikröhre pustet. Wenn man mit einem Schlägel auf diese Röhren haut, klingen sie übrigens wie Morsezeichen aus dem Inneren der Erde. Die Neubauten sind die letzten Instrumentenbauer, die keine Elektroniker sind. Das beunruhigende Quieken, das an ein Theremin kurz vor dem Durchbrennen erinnert, ist übrigens Blixa Bargeld, der Koloratur übt. Auch nicht schlecht.

Überhaupt, Blixa Bargeld. Er ist der Altberliner Entertainer mit Charme, Herz und Schnauze, der Ben Becker wohl gerne wäre. Auf Platte klingen seine Texte oft theatralisch, halbgebildet und prätentiös. Aber auf der Bühne ist er locker und selbstironisch. Eigentlich ist das alles ziemlich witzig, „Ja“, sagt er zwischen zwei Stücken und fährt sich durch diesen unmöglichen Haarschnitt, „das nächste Stück ist noch länger.“ Und steht dabei barfuß und im dreiteiligen Anzug von der Stange auf der Bühne. Ohne ihn ginge dieser ganze Wahnsinn wahrscheinlich nicht.

Als er ein Stück ankündigt, das vor zwanzig Jahren aus Aufnahmen von seinem Herzschlag entstanden ist, sagt eine Frau hinter mir: „Wie, vor zwanzich Jahren? Da hab ick jerade mal krabbeln jelernt.“ Heute Abend kann sie lernen, wie man würdig altert, ohne Kompromisse zu machen.