: Die erdölgetränkte Venus
Warum floriert die Wirtschaft in Dubai? Die Teilnehmer am Kongress des Halbwissens im Maxim Gorki Theater wussten diese kritische Frage mit erstaunlich innovativen Thesen zu beantworten
VON SASKIA VOGEL
In einer Fernsehtalkshow zu den Topthemen Ökonomie und Ökologie erwartet man Seriösität. Und auf die Frage des Moderators, „Warum floriert die Wirtschaft in Dubai?“, eine anständige Antwort. Nicht so auf dem Kongress des Halbwissens. Eine fünfköpfige Runde Möchtegern-Experten aus Schauspielern und Künstlern postulierte am Samstag im Studio des Gorki Theaters den größten Unfug. Und lieferten damit eine augenzwinkernde Parodie auf seriöse Talkshow-Formate im Fernsehen.
Die Antworten der Quacksalber: Dubai floriert, weil es dort immer schön heiß ist. Deswegen sind in Berlin auch alle arbeitslos. Weil die „gefühlte“ Miesepeter-Temperatur die hiesige Wirtschaft drückt. Und die faulen Berliner im Sommer im Park abhängen, statt die Konjunktur anzutreiben. Was muss mal also tun? Schneewolken wegbomben. Dann geht es auch mit dem Konsum bergauf.
Aha. Der assoziative Unfug auf dem Kongress des Halbwissens war so trashig, dass er schon wieder gut war. Schauspieler Sebastian Orlac philosophierte über die Fragen: Was ist Qualität? Und hat auch Hausstaub seinen Wert? Worauf Modell Sarah Hartmann prompt die naivste (und damit die beste) Antwort gab: „Lässt sich schwer feststellen. Die Milbe frisst den Staub und ihr schmeckt er. Aber sie spricht nicht drüber.“ Ob sie das tatsächlich ernst meinte? Offenbar.
Die Zuschauer klopften fleißig Schenkel, denn die pseudowissenschaftlichen Erklärungen waren einfach nur witzig. Warum die Komik? Weil die Talkshowgäste absolute Seriosität mimten und sich übermäßig wichtig nahmen. Und gleichzeitig ihre Thesen an den Haaren herbeizogen. „Der Kongress des Halbwissens ist eine Parodie auf Fernsehtalkshows wie Maischberger, Will & Co“, sagte Rebecca Riedel vom Künstlerkollektiv Superschool, das den Kongress zum sechsten Mal ausrichtete. Um echte Fernsehatmosphäre zu schaffen, wurde im Foyer des Studios getalkt und der Talk per Video in den Zuschauerraum übertragen. „In seriösen Talkshows reden die illustren Damen und Herren oft auf amüsante Weise sinnfrei aneinander vorbei. Sie reden sich lieber um Kopf und Kragen, als zuzugeben: Ich weiß es einfach nicht.“ Auf dem Kongress hingegen war Nichtwissen gar nicht peinlich. Sondern die Peinlichkeit Pflicht.
Peinliche Antworten zum Beispiel auf die Frage: Wie ist das Erdöl in die Welt gekommen? Erdöl ist gepresste Materie aus Tieren und Pflanzen. „Und weil der Mensch ein Tier ist, ist er auch eine Art Erdöl. Also kann er rein hypothetisch mit sich selber Auto fahren“, sagte Volker Heise. Oder war es Jasper Ahrens? Wer von den beiden Regisseuren zu dieser wahnwitzigen Schlussfolgerung kam, wurde dem Zuschauer leider nicht ersichtlich. Denn mitten in der Videoübertragung fiel (wie so oft) zappenduster die Kamera aus. Dem Spaß tat es keinen Abbruch. Frei nach der Formel „Halbwissen + Halbwissen = Vollwissen“ kam es ja vor allem darauf an, Fakten zusammenzuschustern. Entsprechend fantasiereich war dann auch Claudia Basrawis Theorie zur Geburtsstunde des Erdöls (angeblich in der Bibel belegt): 3.000 Jahre vor Christus kollabierte („angeschubst“) die ölgetränkte Venus mit der Erde – und kippte ihr Erdöl aufs wirtschaftlich heiße Dubai drauf. Aber sicher doch.
In der Pause gab es gratis Wein für das Publikum – „Herzlichen Dank an unseren Getränke-Sponsor, die Moderatoren wurden eingekleidet von der Boutique Blau“ – und die trashige Chanson-Künstlerin Sandra Wrampelmeyer als Showeinlage. „Das ganze Gerede hier erinnert an die Politik. Nur dass sich da Halbwissen und Halbwissen meist zu Nullwissen summieren“, kommentierte ein süddeutsches Ehepaar, das auf Einladung der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung ein Wochenende in Berlin verbrachte. Warum aber schickt eine seriöse Stiftung seine Gäste zur Abendunterhaltung auf einen Kongress des Halbwissens und nicht auf einen anständigen Kongress des Vollwissens, so wie es sich ziemt? „Vielleicht“, so das Ehepaar in bester Selbstironie, „weil die Partei auch nicht immer alles weiß.“ Weniger spaßbegabte Leute verließen die ausverkaufte Veranstaltung vorzeitig. „Mich ärgert, dass nicht ernsthaft versucht wird, wirklichen Fakten auf die Spur zu kommen“, erregte sich eine Dame, obwohl sie doch eigentlich sonst für jede Blödelei zu haben sei.
Moderator Matthias Einhoff malte unterdessen ein „Wischiwaschi“-Diagramm zur Qualitätsfrage an die Tafel. Funktion, Zeit und Nutzen in kausale Abhängigkeit gebracht, ergibt die vollwertige Wissensformel: Am richtigen Ort zur richtigen Zeit eine gute Erfahrung machen – das ist Qualität. Soso. Und der Kongress des Halbwissens, hatte der Qualität? Hatte er. Die Lach- und Krachgeschichten waren es wert, den Samstagabend zur Primetime um 20.15 Uhr im Studio Gorki statt vor dem heimischen Fernseher zu verbringen.
Der nächste Kongress des Halbwissens im Studio Gorki Theater ist am 16. Januar 2009