: Im Geflecht der Interessen
Die schwere Kunst der Kunst im öffentlichen Raum: Die NGBK organisiert auf Bahnhöfen der Linie U 8 die Ausstellung „Glück gehabt!“ und führt damit die von der Wall AG beendete künstlerische Bespielung der U2-Station Alexanderplatz andernorts fort
VON DOMINIKUS MÜLLER
„Glück“ hat die Kunst selten, wenn sie sich dem Leben jenseits der weißen Wände von Museum und Galerie stellt. Entweder sie steht unter dem Vorzeichen öffentlicher Repräsentation, dann muss sie für etwas einstehen, was sie gar nicht ist. Oder sie versucht sich arg idealistisch daran, mit Möchtegern-Mitmach-Aktionen eine Öffentlichkeit einzubinden, die oftmals gar nicht so richtig eingebunden werden will. Dritte Variante: Sie heißt Street Art und versucht tatsächlich unsubventioniert und am Rande der Illegalität in einen dicht besetzten städtischen Raum einzugreifen – nur um schließlich aus der Wand gebrochen zu werden und mit Distinktion versprechender street credibility in die exklusiven Auktionshäuser dieser Welt getragen zu werden.
Auf drei U-Bahnhöfen der Linie U 8 ist nun aber just eine Ausstellung zu sehen, die bereits im Titel von sich behauptet, „Glück gehabt“ zu haben. Die Rede ist von der Fortsetzung der von der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) organisierten künstlerischen Bespielung der U2-Station Alexanderplatz.
Achtung Station Branding
Zur Erinnerung: Die NGBK hat dieses mit einigen Unterbrechungen bereits seit 1958 laufende Projekt einer künstlerischen Nutzung der sogenannten Hintergleisflächen, also den Werbetafeln hinter den Gleisen, seit 1992 zu verantworten. Das ging 15 Jahre lang gut – bis letztes Jahr die Wall AG die gesamten Werbeflächen der BVG erwarb und ganz andere Pläne mit einem der hoch frequentierten Umsteigebahnhöfe der Stadt hatte. Unter dem in bestem Managersprech gehaltenen Namen „Station Branding“ sollte hier eine umfassende Komplettbespielung für jeweils einen großen Auftraggeber umgesetzt werden. Nach längeren ergebnislosen Verhandlungen zog sich die NGBK Anfang des Jahres schließlich angesäuert zurück. Es sah so aus, als ob das Projekt „Kunst im U-Bahnhof“ Geschichte wäre.
Ganz kampflos wollte man sich jedoch nicht ergeben: Ein neuer Wettbewerb wurde ausgelobt und aus 198 internationalen Einsendungen jene 43 ausgewählt, die nun seit dem 1. November an den Bahnhöfen Weinmeisterstraße, Bernauer Straße und Voltastraße ausgestellt sind: weniger prominent besetzt als zuletzt, weniger sichtbar platziert, aber mit neuem Konzept und am Leben – zumindest bis Mitte 2009.
Bis dahin bekommt man auf den drei etwas abgelegenen Bahnsteigen eine durchwachsene Ausstellung zu sehen, in der das Thema „Glück gehabt!“ auf höchst unterschiedliche Weise interpretiert wird: mal mit einer selbstironischen Anzeige, in der sich ein Künstlerpaar auf die Suche nach einer Hausmeisterstelle macht, mal karikaturistisch, indem Glück als obszöner Sprung in einen Pool aus Geld interpretiert wird. Mal werden Heirat und Familie als paradigmatische Glücksversprechen ad absurdum geführt. In den U-Bahnhöfen findet sich aber auch eine ganze Reihe explizit politischer Arbeiten – etwa Victor López González’ Blick auf Europa aus der hoffnungsvollen Perspektive von Flüchtlingen.
In der Wallstraße
Einige Beiträge setzen sich aber auch direkt mit den Streitigkeiten zwischen Kunstverein und Werbeunternehmen, mit den medialen Unterschieden zwischen Werbung und Kunst auseinander – sei es Karl Heinz Jerons Beitrag, der in schlichter Schrift behauptet: „Sie haben Glück gehabt! Dieses Plakat macht ihnen nichts vor“, oder das Haltestellenschild von Martin Conrads und Anna Mándoki an der Voltastraße, das suggeriert, man sei hier an der „Wallstraße“ gelandet. Gerade aufgrund solcher Beiträge nimmt das Projekt im Hinblick auf seine ungute Vorgeschichte gehörig politischen Schwung auf.
Dazu kommt, dass auch die Auswahl der Kunstwerke nicht ganz ohne Querelen abgelaufen ist. Zwei der ursprünglich von der Jury ausgewählten Arbeiten wurden von der BVG verhindert – da sie aufgrund der Möglichkeit von Interpretationsmissverständnissen und Fehlinterpretationen als zu brisant eingestuft wurden. Die Berliner Verkehrsbetriebe distanzierten sich völlig erwartbar von den beiden Beiträgen, die zum einen vermummte Aufständische beim Stapeln von Einkaufswägen zu Barrikaden zeigten, zum anderen auf Hakenkreuz, Hammer und Sichel zurückgriffen. Zwei Neue rückten nach. Im Katalog, der im Januar erscheinen wird, sollen allerdings sämtliche Arbeiten – also auch die, die nicht ausgestellt wurden – abgebildet werden.
Kunst als Politikum
Man könnte sich nun – auf dem jeweiligen Auge blind – auf eine der beiden Seiten schlagen. Man könnte die BVG im Namen der Freiheit der Kunst genauso der Zensur bezichtigen, wie man der Jury des Wettbewerbs ausgemachte Kurzsichtigkeit oder eiskalte Berechnung auf einen zu erwartenden Skandal unterstellen kann. Beides trifft zu und bringt doch in diesem Fall nicht weiter. Denn im Grunde genommen – und ohne jeden Zynismus – wird „Glück gehabt!“ dadurch selbst nur zum Glücksfall für ein größeres Projekt „Kunst im öffentlichen Raum“: Dessen Material – will man es ernst nehmen – müssen doch immer auch die Kommunikations- und Organisationsstrukturen innerhalb eines von Stadtverwaltung, Bevölkerung und privatwirtschaftlichen Interessen mehrfach besetzten „öffentlichen Raums“ sein.
Kunst ist erst einmal ein Fremdkörper in diesem Geflecht – und übernimmt dadurch idealerweise die Rolle eines Markers, der die verborgenen Texturen der Raumorganisation durch die Bereitstellung von Reibungsfläche sichtbar machen kann. Kurz: Das Projekt „Kunst im öffentlichen Raum“ existiert im besten Fall als Politikum, andernfalls droht es schnell in gut gemeintem Bildungsauftrag oder stadtgestalterischen Harmlosigkeiten zu versinken. Das trifft beinahe lehrstückhaft auch auf „Glück gehabt!“ zu. Jetzt muss man sich nur noch selbst beibringen, offensiv und öffentlich damit umzugehen.
„Glück gehabt!“. Organisiert von der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK), U-Bahnhöfe Weinmeisterstraße, Bernauer Straße und Voltastraße, bis Mitte 2009