: Verblasster Sound der Achtzigerjahre
Der Mythos RZ würde in linken Herzen heute noch fortleben, hätten ihn die Aktivisten nicht selbst demontiert
BERLIN taz ■ Die Anschläge der Revolutionären Zellen (RZ) waren in den Achtzigerjahren in manchen Kreisen so populär wie später ein Sieg des FC St. Pauli gegen Bayern München oder die Finten, die der Kaufhauserpresser Dagobert der Polizei geschlagen hat. Das RZ-Logo wurde zeitweise zum Markenzeichen linksradikaler Protestkultur. Ob die so genannten Feierabendterroristen das wollten oder nicht. „Jedes Herz ist eine revolutionäre Zelle“ war der Sound jener Jahre.
„We dont want just one cake, we want the whole fucking bakery“ – „Wir wollen nicht nur ein Stück Kuchen, wir wollen die ganze verdammte Bäckerei“, lautete die Metapher für den unversöhnlichen Gestus der radikalen Linken, der von den „Revolutionären Zellen“ weit in die deutsche Alternativ-Szene reichte. Als im September 1987 die Meldung vom RZ-Anschlag auf den Vorsitzenden des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin, Günter Korbmacher, im Radio lief, knallten daher in nicht wenigen Wohngemeinschaften die Sektkorken. Als Gründe wurden Korbmachers Urteile in Asylverfahren genannt – auf linken Demos in Westberlin wurde skandiert: „Schüsse in die Beine – für die Richterschweine!“
Aus heutiger Sicht befremdet das. Warum hatte man zu Schüssen in die Beine Beifall geklatscht, wo doch die Grenze zwischen der Gewalt gegen Sachen und der Gewalt gegen Personen immer eine Rolle gespielt hatte? Und was war mit dem Anschlag auf den hessischen Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry? Ein „Versehen“, wie es in den Veröffentlichungen der RZ immer hieß, oder doch eine billigend in Kauf genommene Tötung oder sogar ein kaltblütiger Mord?
Solche Fragen waren damals nicht en vogue. Bis zum Fall der Mauer genossen die RZ den Ruf der populären Guerilla, ganz im Gegensatz zur Roten Armee Fraktion und auch zur damals schon in Rente gegangenen Bewegung 2. Juni. Und entsprechend gering war die Distanz zu tatsächlich von den Revolutionären Zellen und ihrem Frauenpendant Rote Zora verübten Anschlägen.
Das galt vor allem für die Brandanschläge auf die Bekleidungsfirma Adler. Nach einem Streik der Adler-Mitarbeiterinnen in Südkorea hatte die Firma zunächst alle Mitarbeiterinnen entlassen. Nach einer von Frauengruppen organisierten Kampagne gegen Adler und den Brandanschlägen auf Adler-Filialen der Roten Zora waren zumindest Teilerfolge in diesem Arbeitskampf erzielt worden.
Das war der Stoff, aus dem der Mythos RZ gemacht war, ein Mythos, der erst nach dem Fall der Mauer zu bröckeln begann. Ende April 1990 fackelte eine Gruppe der Revolutionären Zellen in Berlin ein Möbelgeschäft ab. In einem Bekennerschreiben hieß es, dass es nach dem nationalen Taumel der Wiedervereinigung zu einer beabsichtigten Zerstörung sozialer Milieus in der Stadt komme. Das Geschäft sei ausgewählt worden, weil es zahlungskräftige Kunden in Berlin halten und nach Berlin locken solle. Der Anschlag auf „Wohnen 2001“ war eine der ersten RZ-Aktionen, die in der Berliner Szene weitgehend auf Ablehnung gestoßen waren, und dies nicht nur, weil „Schöner Wohnen“ längst auch bei den Politaktivisten in Kreuzberg zum Standard gehörte.
Der Mythos RZ würde vermutlich heute noch fortleben, hätten ihn nicht die Revolutionären Zellen selbst gründlich demontiert. Eine Gruppe aus den RZ veröffentlichte im Dezember 1991 ein mehrseitiges Papier mit dem schlichten Titel „Gerd Albartus ist tot“. Sie schilderte darin nicht nur die mysteriöse Ermordung des RZ-Mitglieds Albartus durch militante Palästinenser, sondern auch die Zäsur, die die Entführung eines Flugzeuges im ugandischen Entebbe 1976 für die RZ bedeutet hatte. Der Nachruf auf den Freund, der wegen angeblichen Verrats hingerichtet worden sein soll, kam einer schonungslosen Selbstkritik am militanten Internationalismus der RZ gleich. Zumindest diese Fraktion der RZ erklärte nun öffentlich, was Insider bereits seit längerem wussten: Anders als die RAF hatten sich die RZ nach der blutig gescheiterten Flugzeugentführung aus der direkten Zusammenarbeit mit den palästinensischen Gruppen weitgehend zurückgezogen und sich für die Unterstützung des „sozialen Widerstandes“ im eigenen Land entschieden. Das Papier markierte allerdings auch hier den Anfang vom Ende der RZ: „Gerade weil revolutionäre Politik in einem Land wie der BRD so isoliert ist, muss sie sich immer wieder eines sozialen Orts versichern“, hieß es. Und: „Wie schnell all die schönen Worte und besten Absichten zu bloßer Makulatur werden … davon zeugt nicht zuletzt dieses Kapitel unserer Geschichte.“
WOLFGANG GAST, UWE RADA