: Sanfte Stunden in Rot und Orange
Gentlemen bei der Arbeit, große Abschiede und kleine Comebacks: Eine Sammlung von Tennisgeschichten nach einer guten Woche bei den French Open in Roland Garros
PARIS taz ■ Wenn das Licht der Sonne allmählich nachlässt im Stade Roland Garros, abends so zwischen sechs und sieben, dann schimmert der Sand in Tönen zwischen Rot, Gelb und Orange. Abends, in einer stimmungsvollen Stunde, verlor Monica Seles zum ersten Mal in ihrer Karriere in der ersten Runde eines Grand-Slam-Turniers, was nicht allzu überraschend kam; sie plagt sich schon eine Weile mit Verletzungen an beiden Füßen. Wäre sie vernünftig gewesen, hätte sie verzichtet, aber in Paris fällt es ihr schwer, vernünftig zu sein. Sie war nicht einmal 16, als sie 1989 beim ersten Auftritt in einem spektakulären Halbfinale gegen Steffi Graf verlor. Doch das war in einem anderen Leben. Nach der Niederlage diesmal sagte sie, sie werde jetzt Pause machen und sich behandeln, aber ganz bestimmt nicht operieren lassen. Falls auf konventionellem Wege nichts zu machen sei, dann werde wohl Schluss sein. Möglich, meinte sie, dass dies ihr letztes Spiel in Paris gewesen sei.
Da waren Michael Changs Tränen nach seinem allerletzten Spiel auf dem Court Central, aber da war auch Daniela Hantuchova. Die hatte noch nie viel auf den Rippen, aber inzwischen ist sie so dünn, dass sie immer öfter gefragt wird, ob sie unter Essstörungen leide. Davon könne keine Rede sein, sagt sie; sie habe vor Beginn dieser Saison besonders hart trainiert und dabei Pfunde verloren. An diesem Tag unterlag sie gegen eine junge Amerikanerin namens Ashley Harkleroad, die genau das gleiche Dress trug wie sie, was den Unterschied zwischen einer gut trainierten Spielerin und einer mit sichtlichem Untergewicht erschreckend deutlich machte.
Aber es gibt natürlich auch gute Nachrichten. Auf dem Weg zum späteren Titelgewinn vor zwei Jahren hatte Jennifer Capriati ein Schild ins Blickfeld der Kamera gehalten, auf dem stand: Good luck, Corina. Es galt ihrer Freundin und Kollegin Corina Morariu, die zur gleichen Zeit in Florida im Krankenhaus eine Leukämiebehandlung über sich ergehen lassen musste. Damals wusste keiner, ob man sie jemals wiedersehen würde, doch die Behandlung hatte Erfolg. Bei den US Open im Herbst 2002 spielte sie schon wieder mit, und in Paris gewann sie das erste Match bei einem großen Turnier nach ihrer Krankheit.
Auch Dally Randriantefy ist wieder da. Nie gehört? Mademoiselle kommt aus Madagaskar, ist mittlerweile 26, und hat vor Jahren mal so gut gespielt, dass sie in New York sogar die dritte Runde erreichte. Aber wenig später verschwand der Schweizer Manager, der sie und die Schwester Natascha jahrelang betreut hatte, über Nacht, nahm die Kasse und das Heft mit allen wichtigen Adressen mit, und das war’s dann erst mal für längere Zeit. Doch im vergangenen Jahr dachte sie, so alt bin ich ja nicht, gönnte sich, zuerst bei kleinen Turnieren, noch einen Versuch, und nun ist sie wieder da, wo sie vor sieben Jahren schon mal gewesen ist. Dritte Runde, kein schlechtes Comeback, auch wenn sie gestern gegen Justine Henin-Hardenne verlor.
Aber noch mal zurück zu den sanften Stunden in Rot und Orange. Auf Court 3 spielten am Donnerstagabend Tim Henman und sein amerikanischer Freund Todd Martin gegeneinander, auf die alte, klassische Art. Gerade Schläge, Aufschlag und Volley, kein Stöhnen, kein einziges falsches Wort – zwei Herren bei der Arbeit im Sonnenuntergang. Henman gewann, und Martin schwärmte hinterher: „Hier in Paris, das ist der beste Platz der Welt, um Tennis zu spielen. Abends, bei diesem Licht, das ist einfach wunderschön.“ Vielleicht muss man über 30 sein, um das zu erkennen, vielleicht ist es aber einfach nur eine Frage des Gefühls. DORIS HENKEL