: „Deutsch ist heute multikulturell“
Günter Piening
Eigentlich wollte sich der 52-Jährige nach seiner Tätigkeit als Ausländerbeauftragter des Landes Sachsen-Anhalt eine Auszeit nehmen. Dass er nun als Beauftragter für Migration und Integration mit dem Rad durch Berlin fährt statt als Tourist durch Europa, hat einen einfachen Grund: „Die Aufgabe des Ausländerbeauftragen in Berlin ist die interessanteste ihrer Art in ganz Deutschland“, glaubt Piening. Daher war es für den gelernten Journalisten und Soziologen ein Muss, sich für die Aufgabe zu bewerben. Heute tritt Piening sein Amt an.
Interview SUSANNE LANG und ADRIENNE WOLTERSDORF
taz: Herr Piening, Sie sind erst seit einigen Tagen in der Stadt und gleich nach Kreuzberg gezogen. Ist das ein Statement?
Günter Piening: Nein. Ich habe einfach ein Viertel gesucht, wo ich mich wohl fühle.
Oder wollten Sie gleich mitten rein in die alltägliche Integrationsarbeit?
Bei der Entscheidung für Kreuzberg spielt auch eine Rolle, dass ich nach elf Jahren Magdeburg Lust auf mehr Vielfalt habe. Aber ist nicht eher eine Botschaft, dass einer meiner ersten Termine in Pankow ist? Ich möchte, dass der Ostteil der Stadt und die Situation der Migrantinnen und Migranten dort stärker wahrgenommen wird.
Überraschen Sie uns mit der Ankündigung, dass Kreuzberg in der Integrationspolitik eine weniger prominente Rolle spielen wird?
Nein, denn Kreuzberg hat Symbolbedeutung, weil hier Erfahrung von Jahrzehnten Zuwanderung geronnen ist und ein Verständnis von Pluralität entstanden ist. Diese Gemengelage von Szene und Migration ist einzigartig. Berliner Integrationspolitik wird sich in den nächsten Jahren auch daran messen lassen müssen, wie es in und mit Kreuzberg weitergeht.
Als sich Ihr Name bei der Suche nach der John-Nachfolge herauskristallisierte, gab es Bedenken, weil Sie Berlin nicht kennen und in Magdeburg kaum Migranten gesehen haben.
Ich habe diese Skepsis in meinen Vorgesprächen nicht entdeckt, sondern eher eine Neugier, was ich mitbringe und ob ich mit dem Kiez umgehen kann. Diese Haltung finde ich richtig, denn nachbarschaftliche Strukturen sind wichtig für Integrationsprozesse. Ich erlebe aber auch Ost- und Westberlin mit sehr deutlich voneinander unterschiedenen kulturellen Milieus. Vielleicht bin ich da sensibler, weil ich nicht aus Westberlin komme.
Heißt das, Günter Piening hat Ostkompetenz?
Das sollen andere bewerten. Ich komme aus dem Alternativmilieu des Westens und empfand es als Bereicherung, die Post-DDR-Atmosphäre einer Industriestadt wie Magdeburg erlebt zu haben. Ich habe dort eine Menge gelernt, was Diskurse und die Stimmungslage bei den so genannten kleinen Leuten betrifft.
Neue Besen kehren gut, sagt man. Werden Sie das Erbe ihrer langjährigen Vorgängerin Barbara John verwalten, oder werden Sie vieles anders machen?
Ich habe Schwierigkeiten mit dem Wort „anders“, weil das eine künstliche Konfliktlinie zu Barbara John aufbaut, die nicht existiert.
Frau John ist Mitglied der CDU, Sie sind Grüner. Und das Wort „anders“ gehört da nicht dazwischen?
Leider merkt man der CDU nicht an, dass Barbara John ihr Mitglied ist. Ob die unterschiedliche Parteizugehörigkeit in der konkreten Politik vor Ort auch andere Herangehensweisen bringt, wird man sehen. Ich bin kein sehr parteiaktiver Grüner, gehöre eher zur großen Strömung der Beitragszahler. Sicher ist, dass ich mich in wesentlichen Grundannahmen von den CDU-Positionen unterscheide und mich gerade in der Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik bei den Grünen gut aufgehoben fühle. Wir erleben leider erneut beim Zuwanderungsgesetz, dass ein großer Teil der CDU eine Vorstellung von deutscher Identität hat, die sich sehr stark herkunftsmäßig-völkisch definiert. Meine Grundüberzeugung ist: Die deutsche Identität ist heute multikulturell.
Ob multikulturell oder nicht, immerhin wurde ihr Amt schon mal umbenannt. Sie sind kein Ausländerbeauftragter mehr, sondern Beauftragter für Integration und Migration.
Das zeigt, dass die Sprachrohrfunktion des Beauftragten an Bedeutung verliert. Auch die Einrichtung des Integrationsbeirates ist ein wichtiges Signal. Zum ersten Mal gibt es auf Senatsebene ein Gremium, in dem die Teilhabe der Migranten institutionalisiert wird.
Das sind aber alles Akzente, die nicht von Ihnen gesetzt sind.
Es zeigt aber, dass sich unabhängig von meiner Person die Integrationspolitik in Berlin in einer Umorientierungsphase befindet. Das wird spannend werden, denn in keiner anderen Stadt der Bundesrepublik ist so viel migrationspolitische Kompetenz versammelt wie in Berlin. Die Diskussion mitzustrukturieren, unvoreingenommen von den gewachsenen Strukturen, aber mit den Migrantengruppen – das ist mein Angebot.
In welcher Rolle?
Als Moderator und Entscheider. Wichtig scheint mir, die Leute an einen Tisch zu holen und gemeinsam zu überlegen, wie man mit der Situation umgehen kann. Dann aber auch Entscheidungen zu fällen.
Welche?
Die starken Interessenvertretungen in den Migrantencommunities müssen gemeinsam mit uns passende politische Konzepte entwickeln, die senats- oder bezirksmäßig untersetzt werden. Ein großes Thema der ersten Monate wird sicher die aktuelle Haushaltssituation sein – Integration gibt es nicht zum Nulltarif.
Berlin hat einen Migrantenanteil von 13 Prozent. 8 im Westteil und 5 im Ostteil. Wo setzen Sie da Ihre Schwerpunkte?
In beiden Stadthälften sind jeweils ganz unterschiedliche Erfahrungen der Mehrheitsgesellschaft vorhanden. Wir kommen in der Integrationspolitik letztlich nur weiter, wenn wir die Mehrheitsgesellschaft mitnehmen, Zuwanderung gestalten und die Konflikte, die damit zusammenhängen, mit der Mehrheitsgesellschaft angehen.
Heißt das, Sie sehen in der Integration eine Art Bringschuld eher bei der Mehrheitsgesellschaft?
Beide Seiten sind an dem Prozess beteiligt, und für beide ist das nicht einfach, weil Gewissheiten verschwinden. Das ist eine Plattitüde, aber deswegen nicht falsch: Beide Seiten müssen sich verständigen über neue Regeln. Integration ist ein Prozess, kein Ergebnis.
Sie haben sich zum Ziel gesetzt, dass sich etwa türkische Migranten künftig auch in Marzahn niederlassen wollen?
Kürzlich hörte ich von einem Kioskbesitzer türkischer Herkunft in Mitte, der einem Freund von mir erzählte, er bereite seine endgültige Rückkehr vor. Dieser Begriff ist ja stets gebraucht worden für die Rückkehr in die Türkei. Bei Nachfragen stellte sich aber heraus, er wollte nach zwei Jahren nach Kreuzberg zurückziehen. Das zeigt, wie unterschiedlich der Alltag noch ist – und wie stark dieses auch von den Berlinern ausländischer Herkunft wahrgenommen wird. Ich glaube, so eine Spaltung hält keine Stadt auf Dauer aus. Ich möchte, dass Leute mit anderer Herkunft mit der gleichen Selbstverständlichkeit in den Osten ziehen wie in den Westen. Die Netzwerke, die es dort gibt, brauchen darum eine besondere Pflege. Ich wünsche mir auch, dass zum Beispiel russische und vietnamesische Zuwanderer stärker wahrgenommen werden.
Da klingeln aber bei den türkischen Organisationen die Alarmglocken.
Natürlich spielt in Berlin die türkische Gemeinschaft eine herausragende Rolle. Das wird auch so bleiben, die gesamten Verbandsstrukturen und die Interessenvertretungsorgane sind sehr stark durch sie geprägt. Es ist doch nicht gegen das türkische Berlin gerichtet, wenn man auch die anderen großen Zuwanderergruppen in den Blick nimmt.
Kommen wir mal zu den heißen Kastanien. Erstens die Flüchtlingspolitik, in Berlin immer wieder Stoff für Empörung.
Ich freue mich, dass ich zu einer Zeit beginne, wo bestimmte Veränderungen auf den Weg gebracht worden sind. So die Abschaffung der Chipkarte und die Erleichterung von dezentraler Unterbringung und erste Verbesserungen in der Abschiebehaft. Für solche Liberalisierungen in der Flüchtlingspolitik habe ich in Sachsen-Anhalt sehr gekämpft, und da unterscheide ich mich schon von Barbara John. Die Schritte, die durch die Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner eingeleitet wurden sind richtig, ein gewisser Vorzeichenwechsel ist hier erkennbar. Eines bleibt aber klar: Wir werden immer schnell an Grenzen kommen. Abschiebung etwa werden wir nicht abschaffen, sie ist immer die hässliche Kehrseite der Asylpolitik.
Zweitens, islamistische Organisationen.
Milli Görüs wird sicher nicht mein bevorzugter Gesprächspartner sein. Wir brauchen in der Debatte um Extremismus in den Zuwanderungsmilieus eine gewisse Robustheit. Sprich, wir müssen die Debatte führen – auch öffentlich. Wenn wir sie nicht führen, ist das meines Erachtens verheerend, weil dann der Eindruck entsteht, es würden Konflikte, die die Einwanderungsgesellschaft mit sich bringt, unter den Teppich gekehrt.
Bedeutet Robustheit für Sie, offen über Extremismus und Islamismus unter Migranten, jugendliche Straftäter mit Migrantionshintergrund und Diskriminierung von Migrantinnen durch Migranten zu sprechen?
Ja, wir müssen eine Überempfindlichkeit bei gewissen Themen ablegen, denn es ist falsch, nicht über Tatsachen zu diskutieren.
Spätestens da beginnt bekanntlich das Problem.
Weil dafür bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Insbesondere in Berlin habe ich den Eindruck, dass viele aktive Migrantenvertreter diese Debatte als Ausgrenzung empfinden. Das heißt erstens: Es kann die Debatte nur auf gleicher Augenhöhe geführt werden. Es geht nicht um „wir“ und „die Ausländer“, sondern um „uns“ und die Lösung eines Berliner Problems. Zweitens brauchen wir mehr konkrete Informationen. Die Diskussionen sind sehr grobschlächtig. Die Berichte über antidemokratische und antisemitische Trends etwa, wie sie die kürzlich präsentierte Kiezstudie zu demokratiegefährdenden Phänomenen aufführt, sind wichtige Alarmzeichen, mehr aber nicht. Noch fehlt eine Menge an Information darüber, wie sich diese Haltungen entwickeln. Wir brauchen also Genauigkeit in der Debatte.
Was halten Sie von Barbara Johns Ansatz des toleranten Dialogs mit islamistischen Gruppierungen?
Da macht der Ton die Musik. Wenn ich in Sachsen-Anhalt Jugendklubs besuchte, kam keiner auf die Idee, dass ich rechtsextremistische Jugendliche hofiere oder ihnen eine Plattform gebe. In bestimmten Bereichen bedarf es einer sehr klaren Sprache. Gerade aufgrund der deutschen Verantwortung wäre es doch verrückt, wenn man bei den Deutschen die kleinsten Anzeichen von Antisemitismus als Alarmsignal betrachtet, einen Antisemitismus aus einem islamischen Kontext aber nicht thematisiert. Aber wie ausprägt ist das? Gibt es einen harten Kern? Wie vermittelt er sich in die Community? Das sind meine Fragen.
Ihre Aufgabe ist, Menschen die aus anderen Kulturen zu uns kommen, eine Heimat zu ermöglichen. Wie steht es denn mit Ihrem eigenen Heimatgefühl?
Der Begriff Heimat sagt mir nichts. Irgendwie ist mir aber durch meine Auslandsaufenthalte in Vietnam, China und Japan die Bundesrepublik ans Herz gewachen. Ich habe gemerkt, was die Nachkriegsgeneration an Demokratisierung auch in der Alltagskultur erreicht hat. Auch im Bereich der Geschichtsaufarbeitung ist in der Bundesrepublik, zum Beispiel im Vergleich zu Japan, eine Menge erreicht worden, das verteidigungswert ist. Das alles gilt es zu schützen und weiterzuentwickeln, denn die Schicht ist dünn.
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