Politik für die ferne Zukunft

Grundsicherung, Bürgerversicherung, Spitzensteuersatz: Wo sich die bündnisgrüne Sozialpolitik von der der Sozialdemokraten unterscheidet

COTTBUS taz ■ Den Grünen ist es gelungen, die Vorgabe von Kanzler Schröder wörtlich umzusetzten. Sie lautet bekanntlich: Das Reformprogramm Agenda 2010 sei in den Kernpunkten „eins zu eins“ umzusetzen, höchstens „Details“ dürften verändert werden. Solche Marginalien also haben die Grünen gesucht, die das Regierungsprogramm nicht gefährden, aber dennoch so wirken, als sei der selbst verliehene Ehrentitel „Reformmotor“ nicht völlig obsolet.

Dazu gehört das Konzept der „Grundsicherung“. Bei der zusammengelegten Arbeitslosen- und Sozialhilfe (Neue Bezeichnung: Arbeitslosengeld II) soll das Kindergeld weiterhin wie bei der Arbeitslosenhilfe anrechnungsfrei sein. Auch soll bei Geringverdienern sichergestellt sein, dass durch das angerechnete Partnerschaftseinkommen das Arbeitslosengeld II nicht ganz entfällt. Das wirkt zunächst zwar großzügiger als bei der SPD, wird aber das Etatziel von Finanzminister Hans Eichel nicht gefährden. Er will im Haushaltsjahr 2004 etwa 3,5 Milliarden Euro durch die zusammengelegte Arbeitslosen- und Sozialhilfe sparen – und bei dieser Summe bleibt es auch für die Grünen. Dafür, so der Trost, soll es „deutlich verbesserte Möglichkeiten des Hinzuverdienstes“ geben. Darunter sind etwa Minijobs zu verstehen, die nur noch zum Teil auf das Arbeitslosengeld II angerechnet würden. Die grünen Reformkritiker teilen diesen Optimismus der Verdienstvermehrung nicht. In ihrem gescheiterten Gegenantrag hieß es: „Die Wiedereinführung von Minijobs wird nicht zu neuen Arbeitsplätzen führen, es werden lediglich beschäftigungspflichtige Arbeitsplätze zerlegt und damit dem Sozialsystem Beitragsgelder entzogen.“

Gut klingt auch die „Bürgerversicherung“, die schließlich alle Bevölkerungsgruppen und Einkommensarten in die Sozialversicherungen integrieren soll. Dagegen hat die SPD nichts einzuwenden, die dieses Ziel auf ihrem Sonderparteitag aber gleich in den langfristig gemeinten „Perspektivantrag“ verbannte. Ähnlich fern schätzt auch die Sozialexpertin Thea Dückert die Umsetzbarkeit ein: „Die Gesellschaft ist bisher nicht darauf eingestellt, das Äquivalenzprinzip aufzugegen.“ Denn dann bekäme jeder Bürger ungefähr die gleiche staatliche Altersversorgung, unabhängig von den eigenen Beiträgen. Das wäre eine massive Umverteilung zu Lasten der Begüterten. „Aber es geht doch genau in die andere Richtung“, moniert Reformkritiker Rüdiger Sagel, Landtagsabgeordneter in NRW. „Mit der geplanten Steuerreform werden die Spitzenverdiener massiv entlastet.“

Apropos Steuerreform: Dort wollte der Landesverband Hessen durchsetzen, dass der Spitzensteuersatz nur auf 45 Prozent sinkt, vorgesehen sind 42 Prozent. Doch wurde dieser Antrag gar nicht erst abgestimmt, sondern vom Vorstand „modifiziert übernommen“, um größere Imageschäden zu vermeiden. Etwas vage heißt es nun, dass die Senkung des Eingangssteuersatzes und die Anhebung des Grundfreibetrages „absolute Priorität“ hätten. Initiator Matthias Berninger, Staatssekretär im Verbraucherschutzministerium, gab sich trotzdem zufrieden.

Ebenfalls nicht diskutiert wurde die Zinsabgeltungssteuer. Denn da sind sich alle Grünen einig. Man hält nicht viel davon, die Kapitalerträge künftig mit pauschal 25 Prozent zu veranlagen und sich vom individuellen Einkommssteuersatz von momentan maximal 48,5 Prozent zu verabschieden. Doch bleibt abzuwarten, ob sich Finanzminister Eichel von seinem Lieblingsprojekt abbringen lässt. ULRIKE HERRMANN