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Archiv-Artikel

Spurensuche auf dem Hansa-Hochhaus

24 ehemalige Zwangsarbeiter aus Polen sind zu Besuch in Köln. Mit ihren Erinnerungen helfen sie bei der Erforschung der städtischen NS-Geschichte. Doch die Zuschüsse für das Programm werden ab 2005 vermutlich gestrichen

Köln taz ■ Die Erinnerung kehrt mit einem Schlag zurück, als Helena Tyminska vom Dach des Hansa-Hochhauses auf den Rhein schaut: „Auf der anderen Seite bei der Messe habe ich einmal die ‚gestreiften Menschen‘ gesehen, die KZ-Häftlinge. Ich fragte meine ältere Schwester, was die dort machen und sie sagte: ‚Sie warten auf den Tod.‘“

60 Jahre ist es her, dass Helena das letzte Mal in Köln war. Sie war 17, als die Deutschen im Frühling 1943 in ihr polnisches Dorf kamen. Fast alle nahmen sie mit, auch die Alten, Kinder und Kranken. Helena, ihre Mutter, ihre Großmutter, vier Geschwister und ein Cousin kamen nach Köln, ins Reichsbahnlager am Hansaring, zur Zwangsarbeit.

Jetzt sind vier der fünf Geschwister zusammen mit dem Cousin zurück gekommen – zur Spurensuche in der Vergangenheit. Mit Hilfe der „Projektgruppe Messelager“, die seit 1989 solche Besuche organisiert, suchen sie nach den Orten ihrer Kölner Leidenszeit – und nach verlorenen Erinnerungen. So fällt Jadwiga beim Aufstieg zum Dach des Hochhauses wieder ein, wie sie dort oben ab und zu heimlich Kartoffeln gekocht haben. Die Mutter arbeitete in der Lagerküche und konnte manchmal etwas für ihre Kinder beiseite schaffen. „Trotzdem hatten wir wie immer Hunger“, erinnern sich Genowefa und ihr Cousin Edward. Ein paar Meter weiter steht Helena und schaut immer noch auf den Rhein. Einmal habe sie beobachtet, wie die „gestreiften Menschen“ Blindgänger wegräumten. Sie habe den Wärter gefragt, warum die das machten und er habe geantwortet: „Man hat ihnen bessere Arbeit versprochen, wenn sie es schaffen, die Bomben zu entschärfen.“

Kölns unrühmliche „Vorreiterrolle“ im Umgang mit KZ-Häftlingen ist am nächsten Tag wieder Thema. Es ist Mittwoch Abend, die Projektgruppe Messelager hat in den Kleinen Rheinsaal der Kölnmesse eingeladen, um über die Zukunft des Besuchsprogramms zu reden. Als eine der ersten Städte habe Köln im Krieg KZ-Häftlinge als Arbeitskräfte angefordert, erzählt Karola Fings, eine der Historikerinnen der Projektgruppe und stellvertretende Leiterin des NS-Dokumentationszentrums. Nebenan im Großen Rheinsaal wurden die Gefangenen untergebracht, ergänzt Martin Stankowski, Kölner Historiker und Journalist. Doch solche und andere Details der Kölner NS-Geschichte können, so Fings, oftmals nur mit Hilfe der Besucher rekonstruiert werden. Denn Unterlagen aus der Zeit gibt es kaum noch. So sind es vor allem die Fotos, Erinnerungen und Zeugnisse der Opfer, mittels derer die Stadt in den letzten 15 Jahren die eigene Vergangenheit aufarbeiten und zahlreiche Orte der Schreckensherrschaft dokumentieren konnte.

Dass die Besuche ehemaliger Zwangsarbeiter daher für die Stadt von immenser Bedeutung sind, betonen auch die anwesenden Ratspolitiker. Trotzdem, bedauert CDU-Ratsmitglied Jürgen Koch, gehe er zu „99,9 Prozent“ davon aus, dass die 106.000 Euro jährliche Kosten des Programms aus dem nächsten Haushaltplan gestrichen werden. Sein Argument „Es ist kein Geld mehr da“, überzeugt allerdings weder das Publikum noch die Ratskollegen. So finden Franz Irsfeld (SPD), Jörg Detjen (PDS) und Wolf-Gunther Lemke, Sachkundiger Einwohner für die FDP, die Stadt habe gegenüber den ehemaligen Zwangsarbeitern die „moralische Verpflichtung“ zur Fortführung des Programms. Man könne ja versuchen, andere Finanzquellen zu erschließen, schlagen Irsfeld und Lemke vor. Zum Beispiel Firmen, die von den Zwangsarbeitern profitierten „wie Ford“, ergänzt der FDPler.

Ob die Parteien ihren hehren Worten nach der Kommunalwahl im Herbst auch Taten folgen lassen, werde man ja sehen, beschloss Stankowski den Abend. „Wir werden das genau beobachten.“ Susanne Gannott