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Archiv-Artikel

Die Totgesagten leben länger

Gestern startete die RuhrTriennale mit der formidablen Klangreihe „Century Of Song“, einem Projekt, das den Popsong würdigt. Neben dem Jazzgitarristen Bill Frisell wird nun unter anderen Rickie Lee Jones erwartet

Popsongs sind wie Gerüche. Dieser Augenblick, in dem Vergangenes aufblitzt, weil gerade diese Stimme erklingt, diese Musik ertönt, dieser Geruch aufsteigt. Ein guter Moment, wenn der Soundtrack zur Sequenz gut ist, gut gemacht. Doch bei dem zu Songs gewordenen Quark heutzutage, werden diese Momente immer seltener. Hoffnung bereiten da nur noch jene Festivals, die ihr Ohrenmerk auf jene Musiker-Gilde richten, für die Popsongs nicht bloß rentable Soundteppiche sind.

Die Symbiose von Erinnerung und Pop ist es, die Thomas Wördehoff reizt. Der leitende Dramaturg der RuhrTriennale hat für aktuelle Spielzeit der Triennale erneut den Jazz-Gitarristen Bill Frisell gewinnen können. Frisell hat bereits im vergangenen Jahr das Projekt „Century Of Songs“ kuratiert und so eine formidable Klangreihe geschaffen, die sich ausschließlich dem Genre des Singer/Songwriter widmet – einer Gattung, die damit leben muss, eigentlich schon tot zu sein. Das wird zumindest ständig gesagt und geschrieben. Alles Unsinn und wie immer: Die Totgesagten leben länger.

Der Popsong lebt, vor allem durch jene Musiker, die Frisell für die aktuelle Spielzeit verpflichtet hat. Gestern Abend startete die Reihe mit einem exklusiven Konzert des britischen Pop-Genies Elvis Costello. Ein fulminanter Auftakt, bestimmt. Doch das, was nun noch kommt, steht dem in nichts nach. Heute Abend spielen Frisell und Band selbst, ganz spontan, da Costello den zweiten Abend abgesagt hatte, um sich um seine erkrankte Mutter zu kümmern. Bloß nicht ausfallen lassen, bat Frisell. Eine Garage, einen Keller, irgendeinen Ort brauche er, egal wo. Eine Garage? Kein Problem für Wördehoff. Frisell spielt nun in der Jahrhunderthalle.

Das beste Konzert dürfte aber jenes werden, wenn Ron Sexsmith in Bochums Industriehalle kommt. Der traurige Kanadier hat kürzlich das Album Retriver vorgelegt, ein Ansammlung Songs, so eingängig, so perfekt und wohlriechend, dass einem vor Neid am liebsten die Augen aus den Höhlen sprängen. Sexsmith spielt zusammen mit Jesse Harris, der sich in jüngster Vergangenheit durch seine Zusammenarbeit mit Grammy-Preisträgerin Norah Jones hervorgetan hat.

Später wechselt das Festival dann kurz seinen Klangraum. Rickie Lee Jones, die wohl populärste im Bunde, wird mit dem Amerikaner Vic Chesnutt die Essener Lichtburg bespielen. Ihr erster gemeinsamer Auftritt. Jones ist es, die den Kritikern die meiste Angriffsfläche bietet, da sie nicht müde wird, ihre jazzbasierenden Songs mit TripHop-Sounds zu verkleiden. Doch auch das fügt dem Popsong kein Leid zu – er weigert sich einfach, zu sterben. BORIS R. ROSENKRANZ

www.ruhrtriennale.de