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Kinder für Japan, Kohle für Kim

Premierminister Koizumi erwirkt gegenüber dem nordkoreanischen Diktator die Ausreise von Kindern entführter Japaner. Die Heimat ihrer Eltern kennen sie nicht. Dort gibt es auch Kritik am Vorgehen des Regierungschefs. Im Juli wird gewählt

AUS TOKIO MARCO KAUFFMANN

Wie es um die Beziehungen zwischen Nordkorea und Japan steht, illustriert das diplomatische Protokoll. Diktator Kim Jong Il schickte am Samstag einen subalternen Beamten an den Flughafen, um den japanischen Premier abzuholen. Ein Bankett war schon gar nicht eingeplant, Junichiro Koizumi brachte ein Picknick mit nach Pjöngjang. Die beiden Spitzenpolitiker unterhielten sich 90 Minuten, weniger lang als vorgesehen. Kim Jong Il sagte eine zweite Runde Konversation kurzerhand ab.

Dennoch musste Koizumi nicht unverrichteter Dinge abreisen. Kim Jong Il willigte ein, die Kinder von verschleppten Japanern ausreisen zu lassen. In den 70er- und 80er-Jahren waren mehrere japanische Staatsbürger gekidnappt und nach Nordkorea gebracht werden. Sie sollten angehende Spione mit japanischen Sitten vertraut machen. Kim Jong Il hatte 2002 diese Verschleppungspraxis überraschend zugegeben und fünf Überlebenden erlaubt, in ihr Heimatland auszureisen. Zurückbleiben mussten deren Kinder, die im kommunistisch regierten Land zur Welt gekommen sind. Fünf Jugendliche, zwischen 16 und 22 Jahren alt.

Das japanische Fernsehen zeigt zur Hauptsendezeit, wie die Kinder der Verschleppten in der Hauptstadt Pjöngjang auf das Flugfeld gebracht werden. Alle fünf waren mit dem in Nordkorea obligatorischen „Führer-Pin“ am Revers gekleidet. Eine Stunde nach Koziumi startet ihre Maschine nach Tokio. Aufgeregt meldet Japans staatliches Fernsehen am Sonntag, die frei Gekommenen hätten einen japanischen Namen angenommen. Die heimischen Medien nennen die Fünf „Rückkehrer“ – obwohl alle zum ersten Mal in Japan sind.

Hitomi Soga ist die einzige unter den ehemaligen Verschleppten, die weiterhin von ihren Angehörigen getrennt bleibt. Sogas Töchter und ihr 64-jähriger Mann, der Amerikaner Robert Jenkins, blieben in Nordkorea. Koizumi sagte, er hätte eine Stunde mit Jenkins gesprochen, ihn aber nicht von einer Ausreise nach Japan überzeugen können.

Als Angehöriger der US-Truppen in Südkorea war Jenkins 1965 an der innerkoreanischen Grenze auf Patrouille. Unter welchen Umständen er verschwand, ist umstritten. In amerikanischen Akten wird er als Deserteur geführt, seine Verwandten glauben, der damals 24-Jährige sei gekidnappt worden.

Jenkins Familie bezweifelt die Echtheit der Briefe aus Nordkorea, in denen Jenkins seine Fahnenflucht begründet. Würde Jenkins nach Japan reisen, riskierte er, an die USA ausgeliefert zu werden. Koizumi sagte daher, er werde sich für ein Treffen Jenkins mit seiner Familie in Peking einsetzen.

Unbesehen der sehr konkreten Ergebnisse seines Besuches schlägt Koizumi zu Hause ein steifer Wind entgegen. Der Premier habe einen „einfachen Kompromiss“ gemacht, kommentierte ein hochrangiger Politiker aus Koizumis Partei. Eine Anspielung auf den nur schlecht zu kaschierenden Tauschhandel Kinder gegen Devisen. Tonnenweise Reis und andere Hilfsgüter im Wert von 10 Millionen US-Dollar hatte Koizumi Nordkorea in Aussicht gestellt. Diktator Kim, der über ein bankrottes Land gebietet, fiel es unter diesen Umständen leicht, Milde zu zeigen.

Kritiker unterstellen Koizumi, er habe eineinhalb Monate vor den Oberhauswahlen einen diplomatischen Erfolg gesucht. Am heftigsten reagierten die Angehörigen von Verschwundenen, deren Schicksal ungeklärt ist. Nordkorea behauptet, acht weitere Verschleppte seien verstorben. Die japanischen Verwandten trauen den nordkoreanischen Auskünften nicht und werfen ihrem Regierungschef vor, bei Kim Jong Il nicht energisch genug interveniert zu haben.

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