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Archiv-Artikel

Aus Liebe zu Spott und Kettenöl

Vehikel des Widerstands: Der „konkret“-Kolumnist Horst Tomayer lobt heute Abend in der Neuköllner Galerie Olga Banario das Fahrrad

Die Ausstellung selbst hat ein eigenartiges Thema. In den kommenden Wochen geht es in der Neuköllner Galerie Olga Benario um „Widerstand auf zwei Rädern“, präziser: um „das Fahrrad als vielfältiges Mittel des politischen und sozialen Widerstands“. Tatsächlich hat sich das Veloziped einige Verdienste im Kampf für das Gute erworben – sei es als verbindendes Liebesobjekt im kommunistischen „Arbeiter-Radfahrer-Bund ‚Solidarität‘“, sei es als Transportmittel der Partisanen in den Niederlanden, Italien oder Dänemark.

Im Rahmen der Ausstellung wird heute ein ganz besonderer Fahrradwiderständler lesen: Horst Tomayer, den einige als Kolumnisten der konkret kennen, einige andere als seltenen Gastautor auf der Wahrheit-Seite dieser Zeitung. Die meisten allerdings werden ihn als Schauspieler kennen, wenngleich auch nicht namentlich – Tomayer spielt Nebenrollen in diversen Fernsehfilmen und Serien, so etwa in „Tierarzt Dr. Engel“ oder „Ein Bayer auf Rügen“ an der Seite von Wolfgang Fierek oder auch in diversen Otto-Filmen.

Tomayer selbst hat sich einmal als „Kleinschriftsteller“ bezeichnet. Und das, obschon er eine beachtliche Karriere hingelegt haben könnte: Immerhin hat der 1938 in Tschechien geborene Tomayer mit Wolfgang Neuss zusammengearbeitet, hat gemeinsam mit Stefan Aust die St. Pauli Nachrichten redigiert und ein halbes Dutzend Bücher veröffentlicht, auch verfügt er über zahlreiche Kontakte zu Presse und Literaturszene. Doch der Mann hat eine Haltung, und als einer mit Haltung kannst du im deutschen Schreibbetrieb eben wenig werden.

Tomayer führt gern aufs Eis. So meldete er sich beispielsweise bei einem konkret-Autor, dessen Text ihm gefallen hatte, in schönstem breiten Dialekt als Alfred Hrdlicka und behauptete, er, also Hrdlicka, habe dem verehrten Autor eine Bronzebüste gemacht zum Dank, metergroß, und frage nun, ob der Autor sie nicht mal langsam abholen könne, er, also Hrdlicka, brauche Platz im Atelier. Der Angerufene glaubte und erbleichte.

Tomayer ruft allerdings nicht nur Privatleute an. Legendär sind seine „Deutschen Gespräche“, eine Kolumne, für die er etwa als Luis Trenker Ernst Jünger anrief und mit dem hoch betagten Herrenreiter über die schönen Nazitage plauderte. Auch fragte er als Vertreter der Atomwirtschaft bei Ralph Siegel an, ob dieser ihm nicht einen schönen Pro-Atom-Schlager schriebe.

Wer Parvenüs vorführt, macht sich wenig Freunde. Des Öfteren musste Tomayer mit Gerichten in Kontakt treten. So etwa wegen eines Deutschlandliedes, in dem es hieß: „Deutschland, Deutschland, hyper alles / Du schönstes Biotop der Welt / Deutsche Türken, deutsche Pershings / Deutscher Bigmäc, deutscher Punk / Sollen in der Welt behalten / Ihren alten schönen Klang … Solln zu edler Tat begeistern / Uns das ganze Leben lang.“ Schon vor 18 Jahren las man dergleichen nicht gern in Bayern, und daher wurde durch alle Instanzen bis vor das Verfassungsgericht geklagt, welches allerdings darauf erkannte, dass Tomayer hier die Nationalhymne nicht „der Lächerlichkeit preisgebe“. Anderenfalls hätte Haft gedroht.

Der Autor Tomayer wird ein so genannter Geheimtipp bleiben, eben weil er wie einige andere humorbegabte Autoren – etwa Peter O. Chotjewitz oder der schreibende Exverleger Jörg Schröder (über ihn verfasste Tomayer ein Drehbuch) – einiges riskiert, zugleich aber keinen Hang zur entnervten Besserwisserei hat wie all jene Autoren, die sich heute in den Windschatten der Neuen Frankfurter Schule stellen. Man kann sich mit Tomayer nicht identifizieren, das erlaubt seine Methode nicht.

Dass er viel riskiert, hat nicht nur den Grund, dass sich Tomayer durch die Schauspielerei über Wasser halten kann. Es liegt vor allem daran, dass Tomayer kompromisslos ist. Seine Texte bleiben sperrig, seine „German Poems“ bleiben neu, sein Humor eigen. Man kann bei Tomayer die Lacher nicht planen, denn er bietet keine billigen Witze an.

Als seine Hobbys gibt er „Dynamische Skepsis, Tennis, Sehnsucht und Radlfahren“ an. Und um seine Liebe zum Rad, zum widerständigen vor allem, wird es auch heute gehen, wenn er seine „Kleine Fahrraddiebhalsgerichtsordnung verlesen wird. Eine „ausgereimte Verbalgewaltphantasmagorie gegen den Klassenfeind des Fahrradeigners – den Fahrraddieb“.

JÖRG SUNDERMEIER

„Horst Tomayer liest“ am Donnerstag, 17. 6., um 19.30 Uhr in der Galerie Olga Benario, Richardstr. 104, Neukölln