: Ich mach mir meine Tiere selbst!
Der harte und beschwerliche Weg zur traditionellen europäischen Bogenjagd
Bis vor kurzem waren Druckbögen von Büchern die einzigen Bögen, mit denen ich zu tun hatte. Da lernte ich unversehens eine passionierte Bognerin kennen, und schon war es um mich geschehen: Ich hatte mich verliebt und kaufte mir einen eigenen Bogen. Unter fachkundiger Anleitung meiner Muse begann ich mit dem Aufbautraining. Bald schon genoss ich das archaische Gefühl, alle meine Pfeile verschossen zu haben und sie im hohen Gras einer ungemähten Wiese nicht wiederzufinden. Erst nachdem ich mir einen Satz Pfeile selbst gebaut und mit einem auffallenden Cresting (Pfeilbemalung) aus gelben und roten Ringeln versehen hatte, ging mir keiner mehr verloren. Allerdings löste sich mittlerweile die als Ziel missbrauchte rehbraune Wolldecke in ihre Fäden auf, denn mit meiner rasch sich verbessernden Schießtechnik erhöhte sich die Trefferquote.
Kurzzeitig taten eine nach den Regeln der FITA (Féderation Internationale de Tir à l‘Arc) bemalte Zielscheibe und ein Visier am Sportbogen ihre Dienste. Wenn ich so auf der Wiese stand, sah es aus, als trainierte ich für Olympia. Inzwischen hatte mir meine Muse aber eine Fachzeitschrift per Geschenkabo zusenden lassen, die da hieß: Traditionell Bogenschießen. Echte Bogner, stand darin, schießen ohne Visier, instinktiv. FITA-Scheiben finden sie spießig, weil sie auf Scheiben mit Tierbildauflagen, auf 3-D-Tiere oder echte Tiere schießen. Fertig gekaufte Sportbögen sind ihnen ein Gräuel. Sie bauen sich selbst ihre Bögen, mit natürlichen Materialien und möglichst unter Berücksichtigung der Mondphasen.
Weil alles, was meine Muse tut, Hand und Fuß hat, ging ich in mich. Meine Instinkte waren geweckt. Ich war alt genug, das Tier in mir wiederzuentdecken und mit Pfeil und Bogen durch die Landschaft zu streichen – sollte also auch fähig sein, Aussehen und Charakter meines inneren Bogenschützen genauer zu ermitteln. War ich nicht der Olympionike, wer war ich dann? Ötzis jagender Reviernachbar? Ein Langbogenschütze des Mittelalters? Ein grün berockter Gefolgsmann Sir Robins? Ein Schwarzfußindianer? Kyudo-Schütze? Der allerletzte Samurai?
Wochen der Lektüre, Besinnung und Übung verstrichen. Ich las von Turnieren, bei denen die Teilnehmer wie Sioux aussehen, in Tipis wohnen und auf Waldparcours 3-D-Tiere durchlöchern. Naturgetreu, so erfuhr ich, ist vom Steinkauz bis zum Grizzly jedes Lebewesen in plastischer Hartschaumvariante erhältlich. Sehr zum Vergnügen der übrigen Gäste eines Westerwälder Zeltplatzes versuchte ich mich an einer lebendgroßen Borstenviehattrappe. Ich nahm zur Kenntnis, dass man in den USA, in Afrika, Italien, Frankreich, Ungarn und in Polen auch auf lebende und sich frei bewegende 3-D-Tiere schießen darf.
Weil mir vorderhand weder der Artikel „Mein selbst gefilzter keltischer Köcher“ noch die Abhandlung über „Hirngegerbte Bisonroben“ letzte Klarheit über mein künftiges Erscheinungsbild als Bogenschütze brachten und der Beitrag „Über den taktischen Einsatz von Langbogen bei der Schlacht von Aljubarrota“ nur bedingt bei der Selbstfindung half, beschloss ich, hinsichtlich der Ergründung meines Charakters weitere, beim Bau eines einfachen germanischen Haselnuss-Bogens auftretende Urerfahrungen abzuwarten. Andere bauen sich ganze Blockhäuser zur Selbstfindung, warum also mich belächeln?
Eine Bekannte überließ mir generös ihren Haselnusswald in der Schorfheide zur Abholzung, wofür ich ihr nur eine vielhektargroße Wiese traditionell mit der Sense mähen muss – kein Problem, wenn es mich dem Ziele näher bringt, welches ja bekanntlich der Weg ist. Zur Fertigung von traditionellen Jagdspitzen müsste ich wohl noch Raseneisenerz ausgraben, im Eigenbaumeiler verhütten und die traditionelle Jagdbogensehne stilecht aus den Gedärmen von erlegten Gazellen oder Rehkitzen drehen. Könnte mir vielleicht ein erfahrener Kollege, der dies hier liest, mit etwas Abfall von seinen Beutetieren aushelfen?
Der Blick, mit dem ich neuerdings jeden Hund taxiere, der mir beim Joggen über den Weg läuft, gibt mir zu denken. Alles deutet darauf hin, dass ein Bowhunter in mir steckt. Meine Tiere zum Üben werde ich mir selbst machen, sollte ich mit Mähen, Sägen und Raspeln zu Ende kommen und mein Jagdbogen bei Neumond fertig sein. Grob in Bärenform genähte Hunde- oder Katzenfelle, sackartig dicht, mit Sand und Stroh gefüllt, sollten als Tierattrappen hinreichen. Sobald die Schüsse in die aufgemalte „Kill-Zone“ meiner Übungsziele sitzen, geht’s ab zu Meister Petz in die polnischen Karpaten. Traditionell, natürlich, wie sonst? Zu Fuß! TOM WOLF