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Archiv-Artikel

Das gebrochene Kind

Die kurze, aber leidvolle Geschichte des 15-jährigen Pierre, der Soldat war in einem westafrikanischen Land, fliehen konnte und jetzt in Berlin therapiert wird. Wenn er 18 wird, droht ihm die Abschiebung in die verhasste Heimat

Pierre* muss Blut trinken. Das Blut einer getöteten schwangeren Frau. Dann gehört er dazu. Der damals elfjährige Pierre ist Soldat der Rebellen, die in seinem westafrikanischen Land seit Jahren gegen die Regierung kämpfen. Soldat jener Rebellen, die vor seinen Augen seine Eltern getötet haben, von denen er verschleppt und von seinen Geschwistern getrennt wurde.

Der Initiationsritus soll seine Kindlichkeit und seine Menschlichkeit brechen. Für die Rebellen ist Pierre nur ein weiterer Soldat, Kanonenfutter. Pierre bekommt eine eigene Waffe. Er ist Teil einer Truppe, die von Jungen befehligt wird, die kaum älter sind als er selbst.

Nach Überfällen auf andere Dörfer nehmen sie alte, kampfunfähige Männer gefangen und halten sie als Sklaven. Wer sich unter den Kindersoldaten durch besondere Gräueltaten hervortut, bekommt einen eigenen.

Pierre hat keinen Sklaven. Für ihn geht es nur noch ums Überleben. Das ist im Krieg ein Vollzeitjob. Er entschließt sich zur Flucht, wird geschnappt, aber nicht getötet. Warum auch? Als Soldaten der Rebellen töten ihn irgendwann die Feinde.

Schließlich gelingt ihm mithilfe eines Waffenhändlers die Flucht, er schlägt sich nach Berlin durch. Da ist er 15. Er hat keine Papiere, keine Familie und keine Vergangenheit, über die er sprechen kann. Es beginnt für ihn das so genannte Clearingverfahren. Clearingstellen sind öffentlich geförderte Projekte. Die Mitarbeiter dort kümmern sich um gestrandete Jugendliche wie Pierre, besorgen Plätze in Heimen und Schulen und einen Vormund. Über sein Schicksal sprechen kann Pierre nicht, dafür sind die Traumata zu stark.

Pierre hat Glück mit seinem Vormund. Der ist besonders aufmerksam und zugewandt, nur ihm gegenüber macht Pierre Andeutungen. Der Vormund nimmt Kontakt auf zum Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin: Pierre beginnt mit einer Therapie. Doch sobald er 18 ist, droht ein Asylverfahren. Pierre gilt nicht als politisch verfolgt. Er könnte in das Land zurückgeschickt werden, aus dem er geflüchtet ist. OLIVER TRENKAMP

*Name geändert