Die Achse des Country – Von Thomas Winkler : Kunstwillen mit Migräne
Mancher kann es sich erlauben. Jeff Tweedy beispielsweise. Der und sein Produzentenkumpel Jim O’Rourke sind mittlerweile als einzige Konstanten bei Wilco verblieben. Der Rest der Band hält es meist nicht lange aus mit den beiden. Nach „A Ghost Is Born“ fragt man sich, wann das Publikum es ihnen gleichtun wird. Bislang allerdings stehen zumindest die Kritiker noch fest zusammen, wenn es gilt, dem Säulenheiligen des Alternative Country seine Ausnahmestellung zu bestätigen. Denn das neue Album hat ohne Zweifel die Bezeichnung Werk verdient, aber ob der bisweilen allzu eilfertig verliehene Zusatz „Meister-“ gerechtfertigt ist, darf bezweifelt werden. Tweedy gelingen die grandiosen Momente, tieftraurige Balladen, die eben so am Kitsch entlangschrammen, entspannter Country-Rock oder luftiger Folk. Aber kaum ein Stück darf unbeschädigt bleiben. Verzweifelt kreischen atonale Gitarren, nervt minutenlanges Schaben oder löst sich die ganze Unternehmung in unentschlossen Freejazziges auf. Das ist mitunter eine Prüfung, und so ist es wohl auch gemeint. Bewusst konterkariert Tweedy den Soundentwurf, mit dem Bands wie Calexico kommerziellen Erfolg haben, und zerstört ihn. Nicht minder aber erzählt „A Ghost Is Born“ vom unbedingten Kunstwillen Tweedys. Oder vielleicht auch nur von der Migräne, die den Mann schon seit Jahren plagt.
Wilco: „A Ghost Is Born“ (Warner)
Manifest mit Kneipenprügelei
Country, das war immer wieder auch das soziale Gewissen Amerikas. Gerade im Kontrast zum grundsätzlichen Patriotismus des Genres konnten einzelne Songs Sprengkraft entwickeln. Doch explizite politische Aussagen waren und sind immer noch eine Seltenheit – selbst jenseits von Nashville. So hat auch Mark Olson nahezu zwei Jahrzehnte stures Arbeiten am Alternative Country gebraucht, bis er mit seinen Creekdippers ein ordentliches „Political Manifest“ veröffentlichte. Gleich im Eröffnungssong „Poor GW“ wird zum psychedelisch blubbernden Blues ironisch der Präsident bemitleidet und so geht es kämpferisch weiter: In „Portrait of a Sick America“ verspricht Olson, Bush zu einer Kneipenprügelei herauszufordern, in „George Bush Industriale“ nennt er die wahren Interessen beim Namen und in „The End of the Highway“ prophezeit er im Duett mit Ehefrau Victoria Williams das politische Ende der aktuellen Regierung. Musikalisch mögen die Creekdippers ganz traditionell daherkommen, die Geigen wimmern und die Banjos scheppern lassen, aber textlich haben sich bislang nicht einmal amerikanische Punkbands weiter aus dem Fenster gewagt. „Political Manifest“ entstand als Abfallprodukt der Aufnahmesession zu „Mystic Theatre“, dem eben erschienenen Album der Creekdippers, und ist in den USA bislang nicht regulär erschienen.
The Creekdippers: „Political Manifest“ (Glitterhouse)
Rednecks mit Ecken und Kanten
Wenn es anders gehen soll, ohne den Ballast eines ganzen Genres, muss man sein Geschäft wohl am besten weit entfernt von den Wurzeln des zu verhandelnden Objekts betreiben. Wie wäre es da, sagen wir mal, mit Düsseldorf? Bislang war die nordrhein-westfälische Hauptstadt nicht gerade berühmt als Country-Kapitale, aber Hackmack Jackson werden das nachdrücklich ändern: Vom länglichen Albumtitel „Everybody Wants To Go To Heaven – But Nobody Wants To Die“ über die versifften Cowboy-Stiefel auf der CD-Rückseite und die knarzende Bourbon-Stimme bis zu Songtiteln wie „Senorita Margarita“ oder „Big River“ lässt das Quintett kaum ein im Genre beliebtes Versatzstück unbeachtet am Straßenrande liegen. Dass das Album nicht an den eigenen Klischees erstickt, verhindern Hackmack Jackson mit einem simplen Trick: Komplett live eingespielt, mit allen Fehlern, Ecken, Kanten und bisweilen hysterischem Sound, klingt das Album wie die verloren geglaubte Originalaufnahme einer Redneck-Kapelle aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Nun stammt dieses Konzept, Country zu spielen, als sei er Punkrock, natürlich bereits aus den frühen Achtzigerjahren, aber an der längsten Theke der Welt kommt einem nach ein paar Alt offenbar manche Idee lange nicht mehr so absurd vor, wie sie sollte. Was für ein Glück.
Hackmack Jackson: „Everybody Wants To Go To Heaven – But Nobody Wants To Die“ (Triggerfish Music/Cargo)