: „Ein regelrechter Boom“
Interview SVEN HANSEN
taz: Mister Kolko, wie hat sich der Koreakrieg auf das politische Denken und die Außenpolitik der USA ausgewirkt?
Gabriel Kolko: Entscheidend war zunächst, dass die Sowjetunion im August 1949 ihre erste Atombombe zündete und in China die Kommunisten im Oktober 1949 die Macht übernahmen. Dann brach der Koreakrieg aus, doch auch ohne ihn hätten die USA ihre Militärausgaben stark erhöht. Denn bereits im April 1950 hatte der Nationale Sicherheitsrat beschlossen, die US-Militärausgaben drastisch zu erhöhen. Sie stiegen dann von 13,2 Milliarden Dollar 1949 auf 52,8 Milliarden 1953. Die Folgen waren Inflation und ein hohes Haushaltsdefizit. Schon vor dem Koreakrieg gab es eine strategische Krise, die aus Washingtons Sicht gelöst werden musste. In diesem Kontext muss der Krieg gesehen werden. Er war hilfreich für Präsident Trumans fiskalische Ziele.
Inwiefern hilfreich?
Der Kongress hatte Truman im Oktober 1950 nicht die Rüstungsmittel bewilligt, die er haben wollte, zum Teil für Korea, aber hauptsächlich, um Europa wieder aufzurüsten und für Atomwaffen. Der Krieg zeigte die Grenzen von Militärtechnologie und massiver Feuerkraft gegenüber kompetenten und dezentralisierten Feinden auf. Dies führte zur Suche nach einer erschwinglichen und effektiven strategischen Doktrin. Der Koreakrieg war für die USA weder preiswert noch siegreich. Danach wollte man eigentlich keinen Landkrieg mehr in Asien führen. Doch später glaubte man in Vietnam eine Lösung zu haben: Hohe Mobilität auf Grundlage von Hubschraubern verbunden mit massiver konventioneller Feuerkraft. Doch die USA haben bis heute nicht das Problem gelöst, wie sie ihre militärische Überlegenheit in einen militärischen Sieg und politischen Erfolg zu einem erschwinglichen Preis verwandeln können.
Wandelten sich die USA von einem Verteidiger Südkoreas zu einem Angreifer des Nordens, als ihre Truppen den 38. Breitengrad überschritten?
Hätten die US-Truppen nicht den 38. Breitengrad nach Norden überschritten, wäre der Krieg in drei Monaten vorbei und der Status quo wieder hergestellt gewesen. Truman und seine wichtigsten Berater waren nicht zum Frieden bereit, solange der Kongress ihm die geforderten Mittel versagte.
Offenbar schätzte Washington Chinas Verhalten falsch ein und nahm Maos Drohung einer Gegenoffensive nicht ernst. Wie ist das zu erklären?
Die USA machen dauernd große Fehler. China warnte, dass es in den Krieg ziehen würde, was selbst die CIA glaubte. MacArthur wollte sogar einen Krieg mit China und damit Asien statt Europa zur Hauptpriorität der USA machen. Auch Trumans Leute waren politisch motiviert und etwas wirklichkeitsfremd. Die Führer der USA sind oft ziemlich dumm, und das war in diesem Fall sicher so.
Welche Konsequenzen zogen die USA aus dem Koreakrieg?
Die falschen. Statt die Begrenztheit ihrer Macht einzusehen, versuchen sie bis zum heutigen Tag, die führende Macht der Welt zu sein. Bei Bush ist das offensichtlich, aber auch Truman, Eisenhower und die folgenden Präsidenten teilten diese schwärmerische Vision weltweiter US-Führung. Der Koreakrieg zeigte, was die USA nicht konnten, schuf eine Glaubwürdigkeitslücke und bereitete damit die Bühne für den Vietnamkrieg vor.
Was bedeutete der Koreakrieg für die Sowjetunion und China?
Die UdSSR wurde in Europa durch den Krieg in Korea entlastet. In China bekam die Modernisierung militärische Schlagseite. Hätte China nach 1949 in Frieden gelebt, hätte es andere Prioritäten bei seiner Entwicklung setzen können. Aber vor allem lenkte der Krieg die Aufmerksamkeit der USA von Europa ab: Mit dem Kopf und sogar mit dem Herzen waren die Amerikaner noch dort, aber in Asien hatten sie ihre militärische Macht.
Wie wirkte sich der Krieg auf Japan und Europa aus?
Die mit dem Krieg begründete Wiederaufrüstung trieb in den den dortigen Volkswirtschaften das Wachstum an, vor allem in Japan. Es gab einen regelrechten „Korea-Boom“. Die Preise für Rohstoffe stiegen an, was auch gut für einige Ökonomien der so genannten Dritten Welt war. Die US-Militärausgaben verloren jede Begrenzung, was zu einem Kriegskeynesianismus [einer durch den Krieg ausgelösten staatlich finanzierten Nachfragesteigerung; Red.] führte. Die USA vergaben große Aufträge an Japan und finanzierten auch die Wiederaufrüstung in Europa. Vor allem wurde die US-Wirtschaft durch Militärausgaben angetrieben, was den Bedarf nach Importen erhöhte.
Hat das militärische Patt in Korea einen Krieg in Europa unwahrscheinlicher gemacht?
Ein Krieg in Europa wäre wohl nicht unabhängig vom Krieg in Korea gewesen. Zum einen verfügte die UdSSR nach August 1949 über die Atombombe. Ebenso wichtig ist, dass es keinen besonderen Grund für einen Krieg in Europa gab. Stalin und seine Nachfolger wollten ihn unbedingt vermeiden wie auch Briten und Franzosen.
In Korea schickte erstmals die UNO Truppen in einen Kampfeinsatz, und bis heute stehen im Konflikt auf der koreanischen Halbinsel die USA, Südkorea und die UNO auf der gleichen Seite. Was bedeutete der Krieg für die UNO?
Die damalige Rolle der UNO war eine andere als heute. Jetzt räumen die USA der UNO keine Hauptrolle mehr ein. Das ist entscheidend. Die UNO war die Idee des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, aber heute lässt sich die US-Regierung nicht mehr von deren Wünschen oder Beschlüssen beinflussen.
Nordkorea scheint sich aus US-Sicht von einer kommunistischen Bedrohung in die eines „Schurkenstaats“ gewandelt zu haben und wird auch zur „Achse des Bösen“ gezählt. Gibt es in Washington Sehnsüchte, den damals nicht gewonnenen Krieg fortzusetzen, um ihn jetzt erfolgreich abzuschließen?
Die USA haben nicht nur ein Problem mit Nordkorea, sondern auch mit Japan und Südkorea. Letzteres will nicht, dass der Norden zusammenbricht und der Süden bei einer Vereinigung ähnliche Probleme wie Deutschland bekommt, die in Korea noch viel größer wären. Das wäre laut einigen Studien ein wirtschaftlicher Rückschlag um 20 Jahre. Südkorea möchte den Norden deshalb schrittweise wirtschaftlich integrieren und Zugang zu seinen billigen Arbeitskräften bekommen. Auch Japan will eine friedliche Lösung.
Japan und Südkorea sind für die USA zu wichtig, um ignoriert werden zu können. Wenn dies eintreten sollte, würde die Macht in Asien neu aufgeteilt, wie das gerade in Europa stattfindet. Die USA wollen die „Kommunisten“ sicher aus Nordkorea raushaben, aber es wird wohl Südkorea sein, das letztlich bestimmt, wie die Krise gelöst wird. Südkorea kann sich dort kein plötzliches Vakuum leisten.
Muss sich Nordkoreas Regime von den USA bedroht fühlen?
Wie im Nahen Osten sollte auch in Korea eine atomwaffenfreie Zone mit UNO-Inspektionen angestrebt werden. Die Amerikaner sollten sich darauf vorbereiten, große Zugeständnisse machen zu müssen, einschließlich eines Abzugs ihrer Truppen aus Südkorea. Nordkoreas Kim Jong Il ist ziemlich verrückt, was allerdings auch einige in Washington sind. Es ist also eine gefährliche Situation. Doch solange die USA im Nahen Osten gebunden sind, was Jahre dauern kann, sind die Nordkoreaner ziemlich sicher. Andernfalls kann Washington sehr überraschend und sehr gefährlich sein.