Das Straßenbild

Die Reklamerezension. Heute: Oder fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker

Seit langem ist der Pharmaindustrie nicht mehr so etwas Drolliges gelungen: die „Mamaundpapa“-Pille. Jeder Sozialpädagoge quasselt es in jeder Talkshow daher: Pisa und Erfurt, Piercing und Extasy, alles wäre halb so schlimm, gäbe es liebende Eltern. Aber nein, statt sich um die süßen Kleinen zu kümmern, bewegt das zeitgenössische Elternteil seinen Hintern lieber ins Fittnessstudio oder macht gleich rund um die Uhr Karriere. Für den Nachwuchs bleibt keine Liebe, kein Vertrauen, keine Anerkennung, sondern nur ein Pizzabaguette für die Mikrowelle.

Also schufen eifrige Pharmakologen Elternliebe in Tablettenform (Wirkstoffe: Liebe, Hoffnung, Glaube – ach Quatsch, Anerkennung!). Dass die Tabletten so gestylt sind, als müsse man Modelleisenbahnreisende verspeisen, macht die Sache nur noch pikanter. Alle Probleme heutiger Erziehungsberechtigter scheinen gelöst. Schreit das Baby, während sich dessen Erzeuger „Matrix Reloaded“ auf der Home-Cinema-Dolby-Surround-Anlage reinpfeifft, rührt der umsichtige Papa ein paar Dragees ins Fläschchen, und schon schläft der Wurm durch. Oder: Drei Wochen Domrep mit Kindern sind zu teuer? Während Mann und Frau sich fünfsternig auf weißen Stränden an türkisfarbenem Wasser räkeln, bleibt die Brut mit einer Anstaltspackung „Mamaundpapa“ zu Hause.

Teenagern allerdings müsste das Präparat als Injektion verabreicht werden. Welcher Pubertierende sucht schon freiwillig die Liebe etc. seiner Eltern? Mit diesem Medikament in den Adern aber ist jede 14-Jährige garantiert um 20.00 Uhr zu Hause.

Die frohe Botschaft von Ärzten und Apothekern: Vergesst die Antibabypille, nehmt „Mamaundpapa“! Die frohgemut gezeugten und pharmakologisch ruhig gestellten Kinder sind so angenehm in Hege und Pflege, dass man in Zukunft, wie das Plakat verkündet, gerne „mehr Zeit für Kinder“ haben mag. Danke, Stada! LUTZ DEBUS