: Der Kanzler steht allein da
Nicht nur die Linke, sondern auch SPD-Ministerpräsidenten und viele Kommunalpolitiker kritisieren die Reformbeschlüsse
aus Berlin ULRIKE HERRMANN
Es dauerte keine Minute, da war Kanzler Schröder gestern schon bei seinen Lieblingsstichworten: „Agenda 2010“, „Neuhardenberg“ und „die Rede vom 14. 3.“ Denn diese Begriffe markieren eine Phase des Triumphs, einen Dreischritt der politischen Führerschaft, wie Schröder sie sich vorstellt. Am Anfang war das klare Kanzlerwort im Bundestag; dazwischen gab es ein bisschen Widerstand von Parteilinken und sogar Sonderparteitage. Aber am Ende versammelte sich das rot-grüne Spitzenpersonal zur sommerlichen Klausur in Neuhardenberg, wo man brav und berauscht den Schröder-Vorgaben folgte. So wünscht sich der Kanzler seine Richtlinienkompetenz.
Was bei der „Agenda 2010“ insgesamt gelang, das will Schröder nun beim Unterpunkt Gemeindefinanzen wiederholen. Er hat entschieden, dass die Unternehmen nicht stärker zur Kasse gebeten werden. Eine ertragsunabhängige Besteuerung werde es nicht geben; Kosten für Mieten, Pachten oder Zinsen würden nicht berücksichtigt. Mehr als zusätzliche 4,5 Milliarden Euro 2004 und 5Milliarden Euro 2005 bekommen die Kommunen nicht. Basta. Ganz so drastisch hat es der Kanzler natürlich nicht gesagt; er hat dazugelernt und bot semantisch geschmeidig an, über die Gemeindefinanzen „fair“ zu diskutieren. Aber was er noch zu debattieren gedenkt, das blieb völlig unklar.
Doch Schröder könnte seine Führungsstärke überschätzen. Auch ein Basta-Kanzler braucht starke Bündnispartner, die seine Sicht in der Partei und Fraktion durchsetzen. Bei den Sozialreformen der Agenda 2010 stand etwa Fraktionschef Franz Müntefering an Schröders Seite. Es wurde als Symbol begriffen, dass dieser basisnahe Parteisoldat für soziale Einschnitte plädierte. Offenbar mussten die Kürzungen sein, seufz, davon waren schließlich auch die meisten Gewerkschaftsmitglieder überzeugt. Diesmal hingegen ist Schröder in seiner eigenen Partei isoliert. Seine Pressekonferenz bestritt er gestern allein, ohne ein einziges Regierungsmitglied neben sich. Finanzminister Eichel wird seine Sicht erst heute Morgen darstellen.
Zur Phalanx der erklärten Schröder-Widersacher zählen zunächst einmal die SPD-Abgeordneten. Diesmal positionieren sich jedoch nicht nur Linke, sondern vor allem die Finanzexperten legen ihr Veto ein. Sie hoffen auf die Sondersitzung der Fraktion am 26. August und erinnern an den inzwischen berühmten Spruch von Verteidigungsminister Struck, vor einem Jahr selbst noch Fraktionsvorsitzender: „Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es reingekommen ist.“ Genau dies hat sein Nachfolger Müntefering auch schon angedroht; er will mehr Geld für die Kommunen herausholen.
Dann sind da diverse SPD-Ministerpräsidenten, die Schröder gern öffentlich kritisieren. So hat Heide Simonis aus Schleswig-Holstein ihren Ärger medienwirksam direkt vor das Kabinettstreffen platziert. „Nicht tragbar“, urteilte sie gestern über die Reform der Gemeindefinanzen. Peer Steinbrück aus Nordrhein-Westfalen hat inzwischen einen „Finanzgipfel“ von Bund und Ländern vorgeschlagen, um die Kritik zu kanalisieren.
Auch der grüne Koalitionspartner hat sich recht elegant aus der Affäre gezogen. Die Finanzexpertinnen Andreae und Scheel ließen wissen, dass sie der Gemeindefinanzreform nur zustimmen wollen, wenn die Kommunen mit der Lösung einverstanden sind.
Die Gemeinden sind aber nicht einverstanden, sondern in Rage. Auch SPD-Oberbürgermeister schonen ihren Parteivorsitzenden Schröder nicht. So nannte Christian Ude aus München die Pläne „Mogelpackung“ und „Provokation“. Die Kommunen drohen mit einem „heißen Herbst“; der deutsche Städte- und Gemeindebund kündigte bundesweite Protestaktionen gemeinsam mit Gewerkschaften, Feuerwehren, Vereinen und Elterninitiativen an. Selbst der Boykott von Bundesgesetzen wird nicht ausgeschlossen; Verbandsgeschäftsführer Landsberg drohte, die Ganztagsbetreuung einfach nicht anzubieten, die die Bundesregierung den Kommunen vorschreiben will. Schröder tat dies gestern als „undifferenzierte Verbandsmeinung“ ab. Aber so einfach ist es nicht: Wenn Eltern und Feuerwehrmänner einträchtig nebeneinander durch das Brandenburger Tor marschierten, dann wäre dies ein Bild mit Sogwirkung. Diesen Protest würden die Deutschen so schnell nicht vergessen.
Allerdings ist der Kanzler nicht ganz ohne Helfer – sie versammeln sich in der Union. Denn wie Schröder genüsslich feststellte, „hilft Blockadepolitik den Menschen nicht“. Sollte es nach einem weiteren Konsens im Bundesrat noch Proteste geben, dann ziehen die Eltern nicht nur gegen Schröder, sondern auch gegen CDU-Parteichefin Merkel.
Und noch einen zweiten Helfer hat Schröder ausgemacht. Er vertraut auf die Konjunktur. Momentan liegt die SPD in den Umfragen zwar nur bei 30 Prozent, aber das kann einen Kanzler nicht erschüttern. „Das war letztes Jahr auch so.“ Also vor der Flut. Und warum sollte ihn diesmal nicht ein Aufschwung retten. Dann hätten die Gemeinden wie von selbst mehr Geld. So kann man Richtlinienkompetenz auch verstehen: Führung durch Zufall.