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Heilung ist Voodoo

betr.: „Reform mit Nebenwirkungen?“, „Gesundheitsreform: Naturheilkunde bleibt Bekenntnisfrage – Rhetorische Verrenkungen“, Kommentar von Ulrike Winkelmann, taz vom 16. 8. 03

Ich gehöre zu den Leuten, die zuerst einmal versuchen, sich selbst zu helfen, z. B. bei einer Mittelohrentzündung unseres Sohnes mit einem Zwiebelwickel. Da wir auch ihn erfolgreich zur Leichtgläubigkeit erzogen haben, hilft ihm das meist sofort. Mir selbst haben Naturheilmittel z. B. nach der Geburt unserer Tochter geholfen, eine Entzündung der Gebärmutter zu vermeiden und eine Brustentzündung, die sonst antibiotisch hätte behandelt werden müssen, zu einem guten Ende zu bringen. Sicherlich braucht man bei Naturheilmitteln mehr Geduld und auch Selbstvertrauen, schließlich beruht die Heilkraft hier auf dem Prinzip der Anregung der Selbstheilungskräfte. Das hat aber wenig mit „daran glauben“ zu tun, sondern mit einem anderen Verständnis der körperlichen Vorgänge.

Nun soll ich demnächst, wenn ich eine behandlungsbedürftige Krankheit habe, d. h. mir nicht selbst helfen kann, eine Praxisgebühr für den Besuch bei der Ärztin/beim Arzt zahlen. Dann, sofern ich mich für eine naturheilkundliche Medikation entscheide, soll ich auch die Kosten meiner Therapie selbst tragen. Inwieweit ich das für aufgeklärt halte, können Sie sich wahrscheinlich denken … G.A., Frankfurt

Eigentlich geht es doch nicht um Wissenschaftstheorien, sondern um die Gesundheit der Menschen. Der aktuelle Wissenschaftsstand von heute ist der erkannte Irrtum von morgen. Ich habe vor einiger Zeit von einer australischen Untersuchung gelesen, in der die Erfolge von vor dreißig Jahren angewandten Behandlungsmethoden untersucht worden sind, die heute als völlig wirkungslos angesehen werden. Demnach beruhen 30 % aller Heilerfolge auf dem Placebo-Effekt, der damit wahrscheinlich die wirksamste Heilmethode überhaupt ist – und die billigste. Der Placebo-Effekt hilft, weil der Mensch auf die Möglichkeit der Heilung vertraut und dadurch seine Selbstheilungskräfte aktiviert. Sollte hierzu ein Voodoo-Priester oder ein Handaufleger besonders befähigt sein, ist hiergegen sicher nichts einzuwenden und dies allemal billiger als ein Krankenhaustag.

Heilung ist Voodoo. Die heutige „Schulmedizin“ kann damit nicht umgehen. Man mag sie „säkular“ nennen, ich nenne sie reduktionistisch, weil sie einen wichtigen Teil der Wirklichkeit ausblendet. Außerdem kann die „Schulmedizin“ nicht so einfach von der „Naturheilkunde“ getrennt werden. Das fängt bei den inzwischen verbreiteten akademischen Akupunkteuren an und hört bei der auch von der Schulmedizin schon immer angewandten Pflanzenheilkunde noch lange nicht auf. […]

WOLFRAM VON SPECHT, Murrhardt

Dem aufgeklärten Mediziner des Jahres 2003 ist klar, dass nicht nur das, was Ratten oder Mäuse krank oder gesund macht, wirksam ist, sondern dass bei allen Erkrankungen die Abwehr- und Selbstheilungskräfte des Patienten eine wesentliche Rolle spielen. Dies zu ignorieren zeugt nicht gerade von großer „Wissenschaftlichkeit“, sondern erinnert eher an die Auseindersetzung vor 350 Jahren, als frau/man glaubte, die Sonne drehe sich um die Erde.

Aufklärung heute bedeutet zu erkennen, dass in Fragen der Gesundheit eben nicht alles mit Chemie und Technik erzwingbar ist und dass uns noch viele Kenntnisse in Bezug auf Gesundbleiben und Krankheitsüberwindung fehlen. Der Patient von heute erwartet, dass ein Arzt/eine Ärztin über diese Erkenntnis verfügt und mehr auf der Platte hat als nur die „chemische Keule“.

DR. MED. MICHAEL PARYS, Stuttgart

Meines Erachtens sollte die Wirkung eines Medikamentes nachprüfbar und reproduzierbar sein, und Wirkung und Nebenwirkungen sollten in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Dazu käme noch die Forderung, dass ein neues Medikament einen Vorteil gegenüber schon vorhandenen darstellt und dass auch der Preis stimmt. Ich finde es schlecht, dass frei verkäufliche Medikamente in Zukunft nicht mehr rezeptierbar sein sollen. Aber ich könnte es beim besten Willen weder verstehen noch jemandem erklären, warum ASS oder Paracetamol, die nachweislich gegen Schmerzen helfen (ein anderes Beispiel wären Antiallergika) nicht rezeptiert werden dürfen, Arnika-Salbe oder irgendwelche homöopathischen Hochpotenz-Arzneimittel, an deren Wirkung man glauben kann, deren Wirkung aber in den wenigsten Fällen nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin bewiesen wurde, hingegen wohl. […] GÜNTHER EGIDI, Bremen

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