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Archiv-Artikel

Hertha, du bist nicht allein!

3 Spieltage, 0 Tore: Außer Hertha ist unter den 72 deutschen Topteams noch der VfR Neumünster, Underdog der Regionalliga, ohne Treffer. In der holsteinischen Stadt ist die Moral ungebrochen

von STEFAN ALBERTI

Das Stadion im grünen Westen der Stadt hat noch immer keinen Treffer der eigenen Elf gesehen. Die vor Saisonbeginn noch vorhandene Euphorie schwindet. Drei Spiele, kein Tor geschossen, Chancen vertan. Das Stadtoberhaupt gibt Durchhalteparolen aus: „Wir steigen nicht ab“, sagt Hartmut Unterlehberg, Oberbürgermeister von Neumünster, 80.000-Einwohner-Stadt 30 Kilometer südlich von Kiel – und mit seinem Regionalligisten VfR neben Berlin im deutschen Spitzenfußball einzige Mannschaft ohne Tor. Hertha, du bist nicht allein! Ein Blick nach Schleswig-Holstein.

Der Optimismus aus Neumünster sollte Berlin helfen – geteiltes Leid ist halbes Leid. Vor allem weil dort mehr Grund zum Jammern wäre: Der VfR, vor drei Monaten noch Oberligist, hat mit unter 700.000 Euro den kleinsten Etat aller 72 Teams in 1. und 2. Bundesliga und Regionalligen, gilt als die einzige Truppe von Feierabendkickern. „Der Aufstieg war ein mittleres Wunder“, sagt Stephan Beitz, Pressesprecher der Stadt.

Anders Hertha: Budgetkrösus hinter den Bayern und Dortmund mit knapp 50 Millionen Euro – der gesamte Stadthaushalt von Neumünster ist gerade viermal so groß. Außerdem vor Saisonbeginn die Tabellenspitze im Blick, mit Fredi Bobic den Torschützenkönig der vergangenen Saison eingekauft. Doch von der „Winner-Mentalität“, die Hertha-Manager Dieter Hoeneß für ihn und weitere Neueinkäufe feststellte, ist noch nichts zu spüren.

Was bei Neumünster für die Moral gilt, gilt auch jenseits des Sports: Schaut auf diese Stadt. Etwa beim Haushalt. „Wir haben in den letzten zehn Jahren stets Überschuss gemacht“, sagt Stadtsprecher Beitz mit Blick auf die Berliner Finanzmisiere, erst jetzt drohe ein Defizit. Trotz jüngster Firmenabwanderung von AEG und Panasonic liegt Neumünster mit einer Arbeitslosenquote von 13 Prozent noch deutlich unter den über 18 Prozent Berlins.

Derart erfolgsverwöhnt, hofft OB Unterlehberg für das heutige VfR-Spiel gegen Chemnitz auf einen Treffer. Seine Fehleranalyse: Die Spieler hätten viel zu viel Respekt. Trainer Bernd Gerulat hält den Ball flach: „Wir sind mit einem 0:0 sehr zufrieden.“ Sein Motivationsrezept: „Die Spieler bei der Ehre packen.“

Hertha spielt heute ab 15.30 Uhr gegen die Frankfurter Eintracht, die auch noch ohne Sieg ist. Zur Erinnerung: Das Runde muss ins Eckige. Sollten die Frankfurter das verhindern wie zuvor schon Bremen, Stuttgart und Freiburg, kann sich Hertha im Waldstadion auf eine Weise rächen, die der frühere Nationalspieler Rolf Rüssmann mal so beschrieb: „Wenn wir hier nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt.“