: Die Firmenschlachter
Da die Vorstände von DaimlerChrysler, VW und Co. irrwitzige Gewinnziele anstreben, müssen sie die Löhne drastisch drücken und schaden damit letztlich ihren Unternehmen
Die Zahlen aus den Vorstandsetagen von DaimlerChrysler, VW, MAN oder Thyssen kommen herab zu den Beschäftigten wie die Zehn Gebote. Das Gewinnziel ist heilig, 12 bis 15 Prozent Kapitalrendite pro Jahr müssen es sein. Und genau dieses Ziel ist der eigentliche Hintergrund für die gegenwärtige Debatte um die unbezahlte Verlängerung der Arbeitszeit und die Kürzung des Lohns. Mit den Kosten der Arbeit (angeblich zu hoch) oder der internationalen Konkurrenzfähigkeit (fehlt) hat das nichts zu tun.
Das Gewinnziel, das viele große Unternehmen zurzeit anstreben, entwickelt eine beträchtliche Kraft, weil es von den Managern als objektiv notwendig verkauft wird – eine schwer zu widerlegende Behauptung. Einerseits basiert sie auf betriebswirtschaftlichen Rechnungen, hinter deren Gleichheitszeichen eine eindeutige Zahl steht. Andererseits findet sich immer ein Konkurrent auf dem internationalen Markt, der bessere Unternehmenszahlen präsentiert. Schnell sind so eine vermeintliche Gefahr und zugleich ein Vorbild identifiziert, um die eigene Belegschaft anzuspornen. So verweist DaimlerChrysler gerne auf BMW, wo die Kosten geringer seien und die Rendite höher ausfalle.
Wer den Druck mindern will, den Vorstände gerade in diesem Sommer auf ihre Belegschaften ausüben, muss sich mit dem zugrunde liegenden Managementkonzept beschäftigen. In vollem Gegensatz zum Anspruch der Objektivität basiert es auf höchst subjektiven Annahmen, die zu oft falschen und für die Firma schädlichen Schlussfolgerungen führen.
Das Konzept zur Definition der „notwendigen“ Kapitalrendite basiert auf der Frage: Ab welcher Gewinnerwartung werden Anleger künftig die Aktien der Firma kaufen und damit die Finanzierung des Unternehmens zu günstigen Konditionen sichern? Damit die Firma attraktiv erscheint, muss die Aktie auf jeden Fall eine erheblich höhere Verzinsung als eine klassische sichere Geldanlage versprechen. Eine sichere Geldanlage ist etwa eine Bundesanleihe mit 10-jähriger Laufzeit, die ihrem Besitzer 4 Prozent Zinsen einbringt.
Also nimmt man diese Rendite sicherer Anlagen als Basis und addiert die so genannte Marktrisikoprämie hinzu. Sie beschreibt die Extrarendite, die risikoreiche Aktien im Vergleich zu risikoarmen Papieren früher erzielt haben – und auch künftig erbringen sollten.
In Zahlen heißt das beispielsweise: 4 Prozent sichere Rendite von Staatspapieren plus 8 Prozent Extrarendite macht 12 Prozent Zielrendite. Das ist in etwa die Größe, die DaimlerChrysler anpeilt. Dass Mercedes-Benz schon heute hoch profitabel arbeitet, spielt dabei keine Rolle. Entscheidend ist nur, dass der Gewinn der Fabriken niedriger liegt als das theoretisch abgeleitete Ziel. Und schon ist der Vorstand beim Thema „zu hoher Arbeitskosten“.
Nun kann es niemanden wundern, dass die nachvollziehbare Berechnung der Zielrendite von Annahmen abhängt, die man so oder so treffen kann. Schon der Versuch, die sichere Rendite von langfristigen Staatsanleihen zu definieren, kann zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen führen. Investmentbanker, die Vorstände beraten, neigen häufig dazu, die risikolose Rendite zu unterschätzen. Der Grund ist einfach: Je niedriger die risikoarme Gewinnmarge liegt, desto größer kann die darüber hinausgehende Marktrisikoprämie ausfallen, die der Vorstand anpeilt und die er auch zu Werbezwecken im Hinblick auf die Aktionäre ankündigt.
Auch ein zweiter Trick ist nicht kompliziert. Je höher der langfristige Wertzuwachs eingeschätzt wird, den Standardaktien in der Vergangenheit erzielt haben, desto besser darf logischerweise auch die Erwartung für die künftige Zunahme ausfallen. Die Höhe der Marktrisikoprämie, quasi die Gewinnerwartung für die Zukunft, basiert auf der Berechnung vergangener Gewinne. Dabei ist es ganz entscheidend, welchen Zeitraum man in der Vergangenheit wählt. Beginnt die Betrachtung zu einer Zeit niedriger Kurse und endet in einer Boomphase, fällt der Wertzuwachs hoch aus. Verschiebt man die Vergleichsphase um fünf Jahre nach vorne oder hinten, kann sich das Ergebnis viel bescheidener ausnehmen. Indem sie einen bestimmten Zeitraum als Vergleichsmaßstab definieren, produzieren die Vorstände individuelle Zielvorgaben für die Entwicklung ihres Unternehmens, die weit davon entfernt sind, dem Anspruch absoluter Notwendigkeit gerecht zu werden.
Teilweise müssen die Unternehmen dieses Verfahren anwenden, weil auch ihre Konkurrenten es tun. Der Wettbewerb um die Gunst der großen Anleger, der Investmentbanken und Fonds, produziert einen Sachzwang, dem sich die Vorstände nur schwer entziehen können.
Dabei verschließen die Herren der Konzerne allerdings systematisch die Augen vor den Schäden, die ihre irrwitzigen Gewinnziele hervorrufen. Weil die Profiterwartung oft über den realistischen Möglichkeiten liegt, wird manches Unternehmen geradezu ausgeplündert. Wenn sie zunehmende Summen als Kapitalrendite ausweisen, unterbleiben Investitionen, die für die Zukunft der Firma notwendig wären. Oder die Qualität der Produkte leidet – ein Teil der zunehmenden Rückrufaktionen von Fahrzeugherstellern dürfte auf das verschärfte Gewinn- und Kostenmanagement zurückzuführen sein. Dass die DaimlerChrysler-Tochter Mitsubishi im Mai dieses Jahres 190.000 Lkws zurückholte, weil die Kupplungen defekt waren, erstaunt schon ebenso wenig wie die schadhaften Bremsen bei Mercedes. Mit nachhaltigem Wirtschaften im Sinne einer soliden Entwicklung der Firma hat so etwas nichts zu tun. Und die Aktionäre, in deren Interesse der Vorstand zu handeln vorgibt, sind wenig amüsiert: Schließlich gibt der Kurs nach, wenn die Luxusmarke nicht hält, was sie verspricht.
Da auch die Besitzer kein Interesse an zu hoch gesteckten Gewinnerwartungen haben können, ergibt sich die Möglichkeit einer ganz neuen Koalition – die allerdings noch viel zu wenig entwickelt ist. Aktionärsschützer wie der Würzburger Wirtschaftsprofessor Ekkehard Wenger kritisieren das falsche Managementkonzept ebenso wie Wissenschaftler von der Schweizer Eliteuniversität in St. Gallen. Gewerkschaften wie die IG Metall haben naturgemäß ein Interesse daran, dass die Managementflausen nicht zu sehr auf Kosten ihrer Klientel gehen. Und die Globalisierungskritiker von Attac kommen von einer anderen Seite: Mit ihrer „Vodaklau“-Kampagne gegen den Telekom-Konzern Vodafone kritisieren sie die Folgen der Unternehmenspolitik für das Gemeinwesen.
Die modernen Managementmethoden stehen also von verschiedenen Seiten in der Kritik. Nötig wäre Zusammenarbeit, um das Konzept zur Definition der Kapitalrendite gründlich zu hinterfragen. Die Zeit dafür ist eigentlich nicht schlecht. Auch in der makroökonomischen Debatte mehren sich die Zeichen, dass die Blüte des Neoliberalismus zu Ende geht. Die Revision der Betriebswirtschaft und ihres Shareholder-Value-Ansatzes ist überfällig. HANNES KOCH