Bürgerrechtler vor und nach der Wende

Mit Wolfgang Ullmann starb eine Hauptfigur der Revolution von 1989. Später hielten selbst frühere Parteifreunde bei den Grünen den Theologen für einen Ewiggestrigen und rührenden Idealisten. Denn Ullmann hatte Überzeugungen

DRESDEN taz ■ Es klang wie ein Vermächtnis. Wolfgang Ullmann breitete im Vorjahr in der Reihe „Dresdner Reden“ des Staatsschauspiels noch einmal ein Panorama seiner Überzeugungen aus. Körperlich schon sichtlich hinfällig, sprach da ein brillanter Geist über Deutschland und Europa in einer Friedensordnung für das dritte Jahrtausend.

Menschenrechte, Rechtsstaat, Demokratie und Zivilgesellschaft – wenn Ullmann um diese fundamentalen Begriffe seiner politischen Arbeit kreiste und sich mit ihrer Abnutzung und ihrem Missbrauch auseinander setzte, erhielten sie etwas von ihrem ursprünglichen Glanz zurück. Und der Traum, mit diesen Ideen die Welt doch bessern zu können, spiegelte sich in Ullmanns Gesicht.

Der Theologe und Philosoph sprach in Dresden über den Umbruch 1989 und die neue Globalität, die jeder Form von Weltherrschaft den Boden entzogen hätten. Ullmann war nach seinem Studium 1954 Pfarrer im sächsischen Colmnitz geworden. Und wenn er sprach, klang das Luthersche „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ durch. Er hatte feste Überzeugungen – die Basis für seine Freude an der Diskussion.

Als Student in Berlin und Göttingen wurde Ullmann nach dem Zweiten Weltkrieg noch vom ungeteilten Deutschland geprägt, und er versuchte, diese Zeit in der Gesamtdeutschen Volkspartei gegen die dominierende Westpolitik Adenauers mitzugestalten. Diese Chance eröffnete sich erst 40 Jahre später wieder, auch wenn sein Traum von einer neuen deutschen Verfassung nach 1990 an parteipolitischem Zwist scheiterte. Über die Bürgerbewegung „Demokratie jetzt“, den Runden Tisch, die letzte Volkskammer und einen Alibiplatz als „Minister ohne Geschäftsbereich“ im Kabinett Modrow führte ihn sein politischer Weg in den Bundestag, nach 1994 sogar ins Europäische Parlament. Nominiert hatten ihn jeweils die Bündnisgrünen, zu denen er mehr und mehr ein ambivalentes Verhältnis entwickelte.

Dazwischen lagen seit 1963 Jahre als Dozent an den Kirchlichen Hochschulen in Naumburg und Berlin, wo er Generationen von Pfarrern in der DDR mitprägte. „Einer der wenigen Universalgelehrten alten Stils“, nannte ihn der Mitbegründer des Neuen Forums, Jens Reich, einmal. Ein Gelehrter, der sich als Gemeindepfarrer und als Politiker für Gefängnisbesuche bei Asylbewerbern nie zu schade war. Ullmann war Mitherausgeber der Wochenzeitung Freitag, dem ehemaligen Sonntag der DDR. Der PDS billigte er das Bestreben zu, sich „vom Erbe der Diktatur zu lösen“, wandte sich aber vehement gegen generelle Amnestien und Kompromisse bei der rechtsstaatlichen Aufarbeitung von SED-Vergehen. Ullmanns Dresdner Rede wurde 2003 von einigen als rührende Predigt eines alternden Idealisten beiseite gelegt. Von den Grünen, mit denen er nach seinem Ausscheiden aus dem Europaparlament 1999 nicht mehr viel zu tun hatte, sahen ihn viele als stehen gebliebenen Opa an. Bewegung aber ist noch kein Wert an sich. Wolfgang Ullmann war ein Anachronist, und zwar im allerbesten Sinn. Freitagabend starb er, 74-jährig, während einer Urlaubsreise. MICHAEL BARTSCH