mein fast perfekter sommer (9 und schluss) : STEFAN KUZMANY über die immobile Jahreszeit
Hahaha, macht der Scheibenwischer
Es wurde verdammt heiß im Auto. Kein Wunder. Draußen über dreißig Grad im Schatten, und drinnen lief die Heizung auf Hochtouren. Nicht, dass irgendjemand gefroren hätte. Aber der Mann von der Autowerkstatt hatte es befohlen, eindringlich quoll seine markige Stimme aus dem Mobiltelefon: „Fahren Sie rechts ran. Lassen Sie den Motor laufen. Drehen Sie die Heizung ganz auf. Die zieht Wärme vom Motor.“ Ich weiß nicht, ob er Recht hatte, denn die Nadel des Thermostats verharrte wie festgenagelt im roten Bereich. Die Butter auf unseren Brötchen schmolz und suppte durch die Papiertüte. Die gerade noch eiskalt gekaufte Cola wechselte von lauwarm auf pisswarm. Wir hielten es im Wagen nicht mehr aus. Bundesstraße 2, irgendwo vor Bernau. Ich öffnete die Motorhaube. Gischt schäumte um den Deckel des Kühlwasserbehälters. Und noch 15 Kilometer zum Liepnitzsee.
Es hatte keinen Sinn mehr. Der Motor kühlte nicht ab. Ich musste das Auto stehen lassen. Und so begann mein immobiler Sommer. Am nächsten Tag, es war der 13. August 2003, wollte Jörg Kachelmann die in Süddeutschland gemessene neue Rekordtemperatur von 40,7 Grad in einer Klimakammer nachprüfen lassen. Die Meldung lief gerade im Radio, als ich mit dem Mann von der Werkstatt im Abschleppwagen saß, einer rollenden Klimakammer mit ganz eigenen Rekordtemperaturen in ihrem Inneren. Während der Werkstattmann sich schwitzend am Motor meines Autos zu schaffen machte, rauschten an uns vierzig, fünfzig Autos vorbei, Menschen mit Sonnenbrillen auf der Nase und Badehandtüchern im Gepäck, alle auf dem Weg zum Liepnitzsee. Der Mechaniker schleppte mein Auto zurück nach Berlin. „Das kann dauern“, sagte er zum Abschied.
Mitten in Berlin im Sommer und kein Auto. Der soll sich nicht so haben, sagen jetzt die ökologisch korrekten taz-LeserInnen, soll er eben sein Fahrrad nehmen. Ja, sage ich dann, klar, sehr gut, vielen Dank auch für den Hinweis, aber nicht bei 35 Grad, bitte. Trotzdem: Wir haben es versucht. Haben wieder Brote geschmiert. Haben eiskalte Cola gekauft. Haben uns aufs Fahrrad gesetzt. Gegen Nachmittag erst, um keinen Hitzschlag zu riskieren. Die Spanier meldeten: Das Mittelmeer hat 32 Grad. Ich schaltete das Radio aus. Wir verließen die Wohnung. Raus aus Kreuzberg. Durch Friedrichshain. An jeder Ampel ein Schluck Flüssigkeit. Cabriofahrer hielten neben uns und grinsten mitleidig herüber: Was für Irre, dachten sie offensichtlich, bei dem Wetter radeln. Und hupten und bließen uns zum Abschied ihre Abgase ins Gesicht. Nach sieben Kilometern platzte der Schlauch meines Hinterreifens, zum zweiten Mal in diesem Jahr. „Jeplatzt, wa?“, sagte ein dicker Passant in kurzer Hose. Wir brachen ab.
Man muss ja nicht baden fahren. Es kann auch daheim auf dem Balkon sehr schön sein. Solange immer genügend Eiswürfel im Kühlschrank sind. Und belegte Brote gibt’s auch hier. Wer braucht schon einen See? Der ist doch sowieso nur dreckig und voll und pisswarm. Damit ihr’s nur wisst, ihr, ihr … Badenden!
Gestern habe ich mein Auto abgeholt. So ein Glück, die Reparaturkosten lagen knapp unter dem Marktwert. „Sehnse mal öfter das Kühlwasser nach“, sagte der Mechaniker. Und: „Dann könnense jetze ja Baden fahren.“ Sehr witzig. Hahahaha, äffte ich auf der Heimfahrt ein Lachen nach, im Takt der Scheibenwischer, die allerdings hervorragend mit dem strömenden Regen zurechtkamen: neue Wischerblätter, wer sagt’s denn.