: Sparen wir uns den Praxisschock
Gebühren sind ein ideales Instrument für bessere Hochschulen: Sie sind sozial, sie bringen mehr Geld ins System, sie spornen an. Leider nur in der Theorie
VON CHRISTIAN FÜLLER
Nein, leicht hatte es der Asta-Mann Jürgen Gollert (Name geändert) danach nicht mehr. Im Audimax hatte er bekannt: Studiengebühren wären denkbar – falls es ein Stipendiensystem für alle Studis gäbe. Seine Mitaktivisten aus der Studentenvertretung fanden das gar nicht witzig. Sie unterzogen ihn einem kleinen Schauprozess – und mobbten ihn aus dem Asta.
So ist das mit den Studiengebühren. Sie sprengen gemütliche Abendessen und zerstören Freundschaften. Mit ihnen kann man prima berühmt werden – wenn man den Tabubrecher gibt (wie der Gebühren-Altstar Peter Glotz, SPD) oder möglichst eisern an alten Denkfehlern festhält. Die Meister in dieser Disziplin sind Studentenvertreter. Sie behaupten, Studiengebühren führten zu einer sozialen Auslese – und verletzten so das Recht auf Bildung.
Einen Lobbyisten mag dieses Argument schmücken. An der Uni aber hat es nichts verloren – denn es ist falsch. Das zeigen alle Studien zum sozialen Ausschluss durch Studiengebühren.
Empirisch ist längst bewiesen: Das deutsche Bildungssystem ist kreuzungerecht – mit Studiengebühren hat das aber überhaupt nichts zu tun. Schon jetzt finden nur elf von 100 Kindern aus der so genannten niedrigen sozialen Herkunftsgruppe den Weg in die Unis. Beim Nachwuchs aus hohen Bildungs- und Einkommensschichten sind es aber 81 von 100 Kindern. Zu Deutsch: Unterklassekids haben hierzulande echte Nachteile gegenüber den Zöglingen von Ärzten, Rechtsanwälten oder Beamten. Bildungsvorteile vererben sich, das ist überall so. Nur gibt es auch hier einen deutschen Sonderweg: Das Bildungswesen verstärkt den Effekt – durch eine frühe Bestenauslese in der Schule und eine vertrackte Schulstruktur. Das bewies auch die erste europäische Studie, die 2000 fragte, wer sich an den Unis zwischen Helsinki und Catania, Coimbra und Heraklion so tummelt (s. Kasten).
Die jüngere Entwicklung offenbart das ganze deutsche Bildungsdesaster: Die Zahl der Guteleutekinder hat sich an den Hochschulen seit 1982 mehr als verdoppelt – die aus der Unterschicht hingegen halbiert, selbst die Mittelschicht hat inzwischen Probleme, ihre Kinder zu Akademikern zu machen.
Sogar der Geldbeuteltest zeigt: Deutsche Studis könnten sich Gebühren leisten. Derzeit geben sie, so eine Kasseler Studie, genauso viel Geld fürs Handy aus wie für die Uni – monatlich 35 Euro. 1.000 Euro Jahresgebühr wären 83 Euro monatlich mehr – und verkraftbar.
Die soziale Argumentation der Studentenvertreter ist angesichts dieser Zahlen nicht haltbar. Im Grunde ist das glatte Gegenteil richtig. Studiengebühren hätten bei der derzeitigen Zusammensetzung der Studierendenschaft einen segensreichen Effekt – sie würden den Privilegierten des Bildungssystems endlich einen Obulus für die besseren Karrierechancen abverlangen, die ihnen ihre Herkunft sichert.
Nichts anderes verlangen ja auch die allermeisten unter denen, die für Gebühren eintreten; und zwar für sozial gestaffelte – egal ob Thomas Goppel (CSU), Bayerns Kultusminister, oder Detlef Müller-Böling, der Chef des Centrums für Hochschulentwicklung. Letzterer ließ jüngst warnen: Studiengebühren können auch gefährlich sein – sofern sie nicht sozial ausgestaltet werden. Kurz gesagt: Sie könnten die letzten Arbeiterkids aus der Uni jagen.
Allerdings haben auch die Gebührenfans um Müller-Böling ein Problem. Auf dem Papier funktioniert ihr System wunderbar: Gebühren sind sozial, sie spornen die Studis zum schnellen Studium an, sie sprudeln Geld in die Hochschulen. Bloß, wie sehen diese Wolkenkuckucksheime aus, wenn sie durch die politische Maschinerie sind? Alle rosaroten Argumente pro Gebühren fallen in der grauen Realität in sich zusammen. Die Gebühren verbessern nämlich erfahrungsgemäß nie die Finanzsituation der Uni. In der Regel schleusen die Finanzminister das Geld direkt in ihre Kassen – oder sie senken ihre Zuschüsse für die Unis im Verhältnis ab. „Überall, wo in den vergangenen zwei Jahrzehnten Gebühren eingeführt wurden“, hat der Kasseler Uniforscher Ulrich Teichler beobachtet, „sind die Pro-Kopf-Ausgaben für die Studis gekürzt worden.“
Es gibt aber noch einen anderen Praxisschock. Viele Inkassosysteme für Studis laufen prima – bis die Regierung wechselt oder der Haushalt in Schieflage gerät. In Australien, lange Zeit der Musterschüler beim Bezahlstudium, war das so. Dort wurden die Gebühren erst nach dem Ende des Studiums erhoben. Das Parlament hat daraus inzwischen eine ordinäre Studiengebühr gemacht. Keine Demokratie der Erde wäre vor diesem Effekt geschützt.
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