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Hingehen, wo es notwendig ist

Nach Chiapas und Bosnien nun auf nach Jerusalem und Bethlehem – Europas größter Kinder- und Jugendzirkus „Cabuwazi“ steht für Akrobatik und Clownerien an sozialen Brennpunkten

VON HELMUT HÖGE

Der ehemalige Betriebsratsvorsitzende von Krupp Stahlbau Berlin, Karl Köckenberger, hat eine große Familie und lebt im Wohnhaus der Kreuzberger Regenbogenfabrik. 1992 schenkte er seinen Kindern zwei Einräder, mit denen sie auf dem Hinterhof übten. Wenig später kamen noch zehn weitere Einräder für die Nachbarskinder dazu.

So fing es an – mit Cabuwazi, dem „chaotisch-bunten Wanderzirkus“, dessen Geschichte hier kurz erzählt werden soll. Als Erstes kaufte Karl sich ein Zirkus-Handbuch, über das er dann mit verschiedenen Artisten in Kontakt kam. So auch mit dem mexikanischen Clown Ranulfo Cansino, der noch heute bei Cabuwazi – und dort fürs Jonglieren zuständig – ist. Dann kam die Luftakrobatin und Braunbärentrainerin Petra Sperlich dazu, vom Staatszirkus der DDR. Sie, ebenso wie Natalie Desavis, die bei der westdeutschen Traberfamilie lernte, bringt den Kindern Seillaufen bei. Außerdem arbeiteten bei Cabuwazi noch der polnische Meister im Trampolinspringen, Boguslaw Porycki, die Varietékünstlerin Monika Kebschull – sie trainierte mit den Kindern am Trapez – und die Turnerin Antje Seifert, die unter anderem Rhönradlehrerin ist.

Im Herbst 1993 verteilte die Truppe an einigen Schulen Flugblätter: „Wer möchte an einem Zirkus-Workshop teilnehmen?“ Es kamen über 200 Kinder in die Turnhalle der Kreuzberger Kiezschule. Dafür bewilligten das Arbeits- und das Jugendamt bereits Mitte 1994 erst 14 und dann noch einmal 18 ABM-Stellen sowie Sachmittel – zur Anschaffung der ersten Technik, der Bestuhlung und einiger Requisiten. Für den Ankauf von zwei Großzelten wurden Sponsoren gefunden: Die Zelte stellte man in Treptow (Bouchéstraße 74) und in Kreuzberg (am Spreewaldbad) auf zwei sehr schönen Plätzen auf. Später kamen hier wie dort etliche Zirkuswagen und Container dazu.

Und es fand sich eine Reihe weiterer Sponsoren – erwähnt seien die Bewag und die taz, daneben spendeten aber auch viele Eltern. Inzwischen gibt es bereits vier Cabuwazi-Spielplätze: neben den bereits erwähnten auch den am Neubauviertel von Altglienicke und einen in Marzahn, wo man sich mit dem dortigen „Zelt Springling“ liierte. Daneben gibt es noch eine Kooperation mit dem Wiesenzirkus „Bunter Hund“ in Rüdersdorf, wo mit Behinderten gearbeitet wird. Und demnächst kommt noch ein eigener Zeltplatz an der Jugendeinrichtung „Schatzinsel“ im Kreuzberger Abschnitt der Köpenicker Straße dazu.

In all diesen sechs Zelten wird den Kindern und Jugendlichen ein offenes, niederschwelliges Training angeboten, woraus sich dann Einrad-, Jonglier-, Diabolo-, Trampolin-, Seillauf- und Clowngruppen bilden, die von Berufsartisten sowie von angelernten Pädagogen betreut werden. Auch „Elemente der Kinder-Straßenkultur wie Inlineskating und Breakdance“ werden angeboten. Seit 1997 organisiert Cabuwazi darüber hinaus regelmäßig Ferien-Workshops und Schulprojektwochen: „Das ist ein Riesenrenner“, meint Karl Köckenberger, „das einwöchige Training der Schüler mündet jeweils am Freitag in eine Aufführung.“ Die Cabuwazi-Kinder und -Jugendlichen erarbeiten selbst jährlich zwei Programme, die sie etwa zehnmal im Jahr in ihren Zelten präsentieren, dazu kommen noch diverse Einladungen: in den Lions-Club, zum Obdachlosenfest der Heiligkreuzkirche, zu einer Werbeveranstaltung der Bewag und jede Menge Auftritte beziehungsweise Workshops auf Festivals im Ausland: bisher in Frankreich, Polen, St. Petersburg, London und Lausanne. Die Cabuwazi-Zelte daheim werden derweil immer öfter auch von anderen Veranstaltern genutzt.

Die erste große Auslandstournee führte den Kinderzirkus 1995 ausgehend von Mexiko-Stadt über die Dörfer von Chiapas. 1997 organisierte Cabuwazi dann mit 200 bosnischen Jugendlichen einen Workshop in Tusla. Und ab Mitte August 2004 stehen Aufführungen und Workshops mit 250 Kindern in Jerusalem und Bethlehem auf dem Programm, wobei man mit dem „Circus Jerusalem“ zusammenarbeitet, das heißt mit dessen 30 jüdischen und arabischen Kindern zwischen 10 und 17 Jahren. Ihre Leiterin Elisheva Yortner besuchte gerade Cabuwazi in Berlin, um die Reise vorzubereiten. Zuvor waren bereits drei Clowns aus Nablus zu einem Arbeitsbesuch angereist: „Es gab im Vorfeld harte Diskussionen, ob das Ganze nicht zu gefährlich sei für die Jugendlichen.“ Eigentlich wollte man auch noch nach Nablus, auf Einladung der palästinensischen Clowngruppe Amo Bahloul. Aber derzeit ist dort die Lage zu angespannt. „Nach Bethlehem und Jerusalem fahren wir jetzt mit zwölf jungen Erwachsenen und fünf Trainern“, berichtet Karl Köckenberger. Ihr Reiseprojekt – „Circolibre“ genannt – wird vom Deutschen Kinderhilfswerk und vom Weltfriedensdienst finanziell unterstützt. Am Samstag fand in Treptow die Generalprobe statt.

Cabuwazi ist ein gemeinnütziger Verein mit fünf Vorständlern und Platzverantwortlichen für jedes Zelt. Es gibt keine Wartelisten und keine Beitragszahlungspflichten für die Eltern: „Wir sind für alle Kinder da, vor allem an den Orten, wo es notwendig ist.“ Rund 650 Kinder trainieren dort über die Woche nach der Schule. Der Zirkus ist eine Art Sozialarbeit, weswegen das Projekt auch staatlich gefördert wird. Die Arbeit, das Jonglieren etwa, „dient der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder, außerdem lernen sie, dabei zu kooperieren und im Jugendaustausch beziehungsweise auf Tourneen sich mit anderen auseinander zu setzen“, erklärt der Gründer. Die Jugendlichen sollen lernen, gemeinsam ein Programm auf die Beine zu stellen, das gibt Erfolgserlebnisse – und Selbstbewusstsein.

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