Kleiner Bruder, schwuler Cowboy

Wenn die Krieger der Zukunft so aussehen, dann wird vielleicht doch noch alles gut: Die Fotoausstellung „HipHop Immortals“ im Café Moskau zeigt HipHop inkohärenter und ironischer, als es uns seine medialen Präsentationen manchmal glauben lassen

Will man etwas über die Fotografen dieser Ausstellung erfahren, dann heißt es googeln

VON STEPHANIE GRIMM

Nicht jeder mag HipHop. Doch verdammt viele Menschen tragen HipHop. Kaum eine andere Subkultur hat unsere Alltagsmode – Turnschuhe, auf der Hüfte hängende Hosen und Kapuzenpullis als gemeinsamer Nenner der Vierzehn- bis Vierzigjährigen – so durchdrungen. Aber auch wenn der Durchmarsch von Sportswear ein Nebeneffekt der globalen Verbreitung des HipHop ist – die aktiven Protagonisten sahen schon immer wesentlich heterogener aus als die Derivate ihrer Ästhetik, die uns im Alltag begleiten.

Darüber verschafft die derzeit in Berlin gastierende Wanderausstellung „HipHop Immortals“ einen erhellenden Eindruck. Lernen kann man hier: Die Welt des HipHop ist inkohärenter, als es uns ihre medialen Präsentationen glauben lassen. Nicht nur stellt sie mehr als Sportswear dar, sie geht auch über das Klischee der mit Goldklunkern behängten Zuhälterästhetik hinaus.

Diese wurde zum Beispiel von LL Cool J mitgeschrieben, dessen voller Name – Ladies Love Cool James – allein ja schon Bände spricht. Erstaunlich, dass sich ausgerechnet einer wie dieser auf einem Foto der Ausstellung aus dem Jahr 1991 ganz anders inszenierte: Vor einer Harlemer Kulisse hat er sich auf ein schrabbeliges Fahrrad gesetzt und sieht aus wie ein großer Bruder, der sich erst dann nach Hause traut, wenn die abhanden gekommene kleine Schwester wiedergefunden ist.

Auch wenn die Ausstellung manch vorgefasste Meinung bestätigt, wenn Andre 3000 von Outkast etwa als der tolle Typ daherkommt, der er ist, oder 50 Cent als aufgeblasener Vollidiot, als den man ihn nun mal kennt: Die meisten Fotos, die „HipHop Immortals“ zeigt, untergraben solche Klischees. Beispielsweise wirkt Ol’ Dirty Bastard, Enfant terrible des Wu-Tang Clans, auf einem Bild wie eine Kreuzung aus Ziggy Stardust und Alice Cooper – zumindest Ersterer gilt definitiv nicht als Pate der HipHop-Ikonografie. Als selbstkritischer Kommentar erschient Matt Doyles Porträt von Method Man. Hier sieht es aus, als ersticke dieses andere Mitglied des Wu-Tang Clans am selbst geschaffenen Imperium. Umringt vom Wu-Tang-Logo kämpft er mit Papierbergen. Der Mann scheint abwesend, selbst das Nike-Swoosh auf seiner Jacke zeigt mehr Präsenz als sein Gesicht.

HipHop präsentiert mehr als Sportswear oder das Klischee der Zuhälterästhetik

Auch auf anderen Bildern präsentiert sich HipHop als recht ironiefähig. Die Soul Sonic Force liefern etwa einen charmanten Kommentar zur genretypischen Faszination für kriegerische Helden – kommen sie nun von Kung Fu oder anderswo her: Zwei Mitglieder sind auf dem Foto als Wikinger verkleidet, der Dritte spielt den Indianer, der Vierte aber gibt – völlig unidentifizierbar – den Cowboy im Glam-Kostüm und verleiht dem Foto einen extrem surrealen Dreh. Wenn die Krieger der Zukunft so aussehen, wird ja vielleicht doch noch alles gut.

Was „HipHop Immortals“ allerdings nicht zeigt: Wie HipHop zum globalen Modell geworden ist, das an verschiedenen Orten unterschiedliche Posen und Positionierungen transportiert. Denn erst durch diesen lokalen, polyphonen Widerhall ist diese Subkultur doch eigentlich so unsterblich geworden. Trotzdem kommen in der Ausstellung nur die USA vor – und ein bisschen England, vermutlich weil die Ausstellung in London kuratiert worden ist. Wie HipHop in Südafrika oder in Japan in Szene gesetzt wird, das erfahren wir nicht. Kontextualisierung ist eben nicht die Stärke von „HipHop Immortals“: Auch, in welchem Zusammenhang die Fotos entstanden sind und was die Fotografen für einen Background haben, spart die Ausstellung aus. Man erfährt zwar, dass Janette Beckman ein begabtes Händchen für Inszenierungen hat und dass einen Mann namens Seth Kushner ein sehr stimmungsvolles Porträt von Common mit Wollschal und Wollmütze geschaffen hat – doch will man mehr über die Fotografen dieser Ausstellung wissen, dann heißt es googeln. Andererseits würden zu viele Informationen vielleicht auch den Rahmen sprengen – schließlich soll es in „HipHop Immortals“ doch um unsterbliche Superhelden gehen, die nicht mehr aus den Geschichtsbüchern des HipHop wegzudenken sind.

Zusammen mit der Ausstellung wird übrigens auch noch ein gleichnamiger Dokumentarfilm mit dem schnittigen Untertitel „We Got Your Kids“ der Öffentlichkeit präsentiert. Der steckt zwar voller Informationen – zur Historie, zur Mode, zu den Überlappungen mit der Pornoindustrie und zu allerhand mehr. Doch leider gestaltet es sich sehr mühevoll, diese Informationen zu filtern. Der hektische Schnitt nervt, und beachtliches Vorwissen ist nötig, um mehr zu erkennen als ein Potpourri bunter Bilder. Während man den Film eher in Minutenhäppchen konsumieren sollte, will man dagegen bei der Ausstellung auch nach 110 Bildern mehr. Schade, dass die weitaus umfangreicheren Fotobände 70 beziehungsweise 100 Euro kosten und damit leider kaum bezahlbar sind.

HipHop Immortals, bis 31. 8., Mo.–Fr. 10–17 Uhr, Sa. 14–17 Uhr, Café Moskau, Karl-Marx-Allee 34, Mitte