Das Straßenbild

Die Reklamerezension. Heute: Kindergartenüberlebende berichten

Nun ist dem Berliner Senat doch noch die ultimative Imagekampagne geglückt. Am vergangenen Wochenende hatte der Finanzsenator Thilo Sarrazin das Gejaule betroffener Eltern wegen einer Erhöhung der Kindergartengebühren zum Anlass genommen, öffentlich auszurufen: „Es wird getan, als ob wir Kinder in Konzentrationslager schicken.“ Rasch musste nun untermauert werden, dass der Besuch einer Berliner Kindertagesstätte ganz und gar nicht mit einer KZ-Haft in Dachau oder Buchenwald oder Neuengamme zu vergleichen ist. Diese infame Behauptung hatten geldgierige Mittelschichtseltern wohl irgendwann getätigt. Hatten sie? Nun ja, zumindest hat sie der ohnehin leidgeplagte Finanzsenator wohl so verstanden.

Sarrazin hat jedenfalls schnell reagiert und bundesweit dieses tolle Plakat kleben lassen. Eine etwa Zwanzigjährige genießt in meditativer Haltung ihre schillernde Vergangenheit in dem Kinderladen Rotzgöre in Berlin-Kreuzberg. Dies tut sie, ihrem Schicksal, ihrer Heimatstadt und ihrem Finanzsenator dankend, indem sie ein plüschenes Wappentier und ein vergoldetes Wahrzeichen dankend gen Himmel hebt. Sieht so ein Naziopfer aus? Liebe Berliner Eltern, habt ihr die Serie „Holocaust“ gesehen? Oder „Schindlers Liste“? Schämt euch, so zu tun, als ob eure Kinder ins KZ kommen! Zahlt lieber pünktlich eure Kindergartenbeiträge. Dann gelingt es dem Berliner Senat auch weiterhin, aus Rotzgören so adrette junge Menschen zu formen.

Aber ach, ich habe wohl wieder alles missverstanden. Dies ist eine schnöde Tourismusanzeige. Um Geld in den Stadtsäckel zu bekommen, schwebt die junge Frau hochkonzentriert über ihrem vermutlich scheußlich quietschenden Hotelbett. 39 Euro pro Person pro Nacht fürs Doppelzimmer, lese ich da. Hallo, Berliner Eltern, nun habe ich’s: Bitte verärgert den Finanzsenator nicht mehr. Bringt eure Kinder im Hotel unter, das ist billiger. LUTZ DEBUS