: Seminar bei Dr. Grapsch
Schönen Männern wird Sexismus verziehen
Wie schnell sich eine Frau belästigt fühlt, wird durch viele Faktoren bestimmt. Einer davon ist die Attraktivität des Belästigers, wie Diplompsychologin und Sexismusforscherin Nina Vanselow von der Uni Bielefeld erforscht hat. Sie prüfte, ob sich eine Frau von einem hübschen Mann weniger stark belästigt fühlt als von einem hässlichen.
Vanselow hat dafür 160 jungen Studentinnen Bilder von attraktiven und weniger attraktiven Männern gezeigt. Dann sollten sich die Frauen vorstellen, er würde eine bestimmte Bemerkung machen. Das Ergebnis: Schöneren Männern werden schlüpfrige Bemerkungen eher nachgesehen. „Sprüche von attraktiven Männern wurden teilweise eher als Kompliment, nicht als sexistisches Verhalten eingestuft“, sagt Vanselow. Aber: Der Attraktivitätseffekt kann schnell verschwinden. „Sobald wir die Studentinnen fragten, ob sie das als sexuelle Belästigung empfinden, und erklärten, was das ist, war der Effekt weg.“ Dann fanden die Probandinnen die Bemerkungen – ob von einem schönen oder hässlichen Mann – durchgehend negativ. Als Vanselow das den Studentinnen erzählte, waren sie verblüfft – und wollten „Sexismus“ doch noch mal nachschlagen. NJ
VON NICOLE JANZ
„Bei einem Referat in einem Politikseminar hat mir der Dozent die ganze Zeit auf die Brust gestarrt“, erzählt Martina Beyer*, 27, aus Mainz. Eine andere Studentin berichtet, wie ihr Erfurter Professor reagierte, als sie ein Stipendium bekam: „Das lag wohl an der Frauenquote“, zitiert ihn Anja Baumann, 27. Tanja Krause, 21, aus Berlin erzählt, was sie in der Sprechstunde ihres Professors erlebte: „Er hat mir gesagt, dass ich schöne Augen habe und gehe wie eine Tänzerin.“ Dann habe er ihre Haare im Vorbeigehen gestreichelt.
Was die Studentinnen erzählen, fällt unter sexuelle Belästigung und Diskriminierung. Obwohl mittlerweile fast jede deutsche Universität Richtlinien gegen Sexismus hat, berichten Frauenbeauftragte immer noch von anzüglichen Blicken, sexistischen Witzen, plumper Anmache, Benachteiligung oder sexueller Nötigung.
„Die Betroffenen sind ganz überwiegend Frauen“, sagt Marianne Kriszio, Zentrale Frauenbeauftragte der Humboldt-Universität in Berlin. „Männer sind ein minimaler Anteil. Nur einmal hat sich ein Student über Belästigung durch einen schwulen wissenschaftlichen Mitarbeiter beschwert.“ Der häufigste Beschwerdegrund in ihrem Büro seien diskriminierende Sprüche über Frauen – und sehr viel seltener Fälle von Belästigung.
Ihre Kollegin von der Technischen Universität Berlin, Heidi Degethoff de Campos, sagt: „Wir schätzen, dass rund 30 Prozent aller Frauen an deutschen Unis Erfahrung mit sexueller Belästigung oder Diskriminierung gemacht haben.“ Seit den Neunzigerjahren habe sich an der Zahl wenig geändert. Das Problem sei: „Nur ein Bruchteil der Betroffenen meldet sich bei mir.“
Dass Studentinnen schweigen und so zur Tabuisierung von Sexismus an der Uni beitragen, hat verschiedene Gründe. Oft ist es eine falsch verstandene Emanzipation und die Angst, dass man ihnen nicht glaubt.
Denn viele Studentinnen wollen Sexismus nicht sehen. „Vor allem die jüngeren sehen sich als selbstbewusst und sind wenig für diskriminierende Situationen sensibilisiert“, meint Degethoff de Campos. Diplompsychologin Nina Vanselow, die an der Universität Bielefeld über sexuelle Belästigung forscht, erklärt das damit, dass sich junge Frauen nicht als potenzielle Opfer sehen wollen. „Mir kann das nicht passieren, denken viele Frauen.“
Auch die Studentin Anja Baumann, deren Professor ihr Begabten-Stipendium mit der „Frauenquote“ abtat, wollte eigentlich Stärke zeigen, indem sie sich nicht beschwerte. „Ich wollte nicht als empfindlich gelten. Irgendwie hat das meinem Selbstbild von einer emanzipierten unabhängigen Frau widersprochen.“
Und so werden feministische Studentinnen auch gern von ihren Kommilitoninnen belächelt, wenn sie mitten im Seminar sexistische Witze kritisieren. Die Berliner Geschichtsstudentin Anne Sichel, 27, engagiert sich in der Studierendenvertretung Asta der Humboldt-Uni im Frauenreferat. „Oft wird man genervt angesehen, wenn man sich offen beschwert. Auch von Frauen.“
Bei extremeren Fällen von sexueller Belästigung ist es aber die Angst, die Studentinnen zum Schweigen bringt: Man könnte sie für mitschuldig halten. Selbst die wenigen Betroffenen, die sich beschweren, wollen anonym bleiben. „Ich habe gerade einen aktuellen Fall einer Doktorandin, die von einem Professor belästigt wird“, berichtet Degethoff de Campos.
Einzelheiten will die Frauenbeauftragte nicht erzählen, um die Betroffene zu schützen. „Wir gehen dem intern nach, gemäß unseren Richtlinien gegen Diskriminierung.“ Denn bestenfalls erhalte der Professor einen Vermerk in der Personalakte. Die Doktorandin aber sei „verbrannt“ und könne als „Querulantin“ in der Wissenschaft kaum noch Karriere machen.
Die Angst der Doktorandin ist begründet. „In der Regel wird Betroffenen von der Gesellschaft eine Teilschuld zugeschoben“, erklärt Diplompsychologin Nina Vanselow von der Uni Bielefeld. Dieser sogenannte Belästigungsmythos lautet meist: Hat es die Frau nicht gewollt? Hat die Studentin nicht mit Sex ihre Noten aufgebessert?
Seit den Neunzigerjahren schlagen sich die Frauenbeauftragten an deutschen Hochschulen mit diesem Mythos herum. Damals stand das Thema Sexismus am Campus ganz oben auf der Medienagenda. Erste Frauenbeauftragte wurden eingestellt und erkämpften Richtlinien gegen Diskriminierung. Und sie machten Belästigungsfälle öffentlich. Mit diesen Kampagnen kam die Gegenreaktion: Medienberichte über Studentinnen, die ihre unschuldigen Professoren verleumden oder durch „Stalking“ belästigen. Der Roman „Der Campus“ von Dietrich Schwanitz, in dem eine Studentin nach einer Liebesbeziehung mit einem Dozenten behauptet, er habe sie vergewaltigt, war ein krasser Ausdruck dieses Mythos.
Der Wirklichkeit entspricht das kaum. „Es mag wenige Ausnahmefälle geben, mir sind aber persönlich keine bekannt“, sagt Marianne Kriszio, Frauenbeauftragte der Humboldt-Uni in Berlin. Vor 14 Jahren habe eine Studentin einem Professor mal in der Sprechstunde eine Liebeserklärung gemacht – und er bekam sofort Panik, sie würde seinen Ruf ruinieren, erinnert sich die Frauenbeauftragte. Aber es habe keine solchen Probleme gegeben. Die Studentin habe sich, wohl aus Scham, nie wieder bei ihm blicken lassen. In ihrer Erfahrung als Frauenbeauftragte und im Austausch mit Kolleginnen könne sie sich an keinen aktuellen Fall erinnern. „Dass eine Studentin einen Professor falsch beschuldigt, ist meistens eine Sensationsmache und wird von den Medien hochgespielt.“
Doch dass Frauenbeauftragte Fälle von Sexismus zum Schutz der Frauen dann lieber intern abhandeln, sieht die Diplompsychologin Monika Gerstendörfer kritisch. Sie hat schon 1994 in ihrem Buch „Sine laude! Sexismus an der Hochschule“, eines der wenigen Bücher über das Thema, analysiert, warum das Schweigen der Studentinnen ihnen selbst schadet. „Das Sprechtabu arbeitet den Tätern ja zu, und man kriegt sie aus den Unibetrieben nicht raus“, sagt Gerstendörfer. Aber sie könne auch die Frauenbeauftragten verstehen. „Sie haben wenig Macht und sollen aber gegen einen etablierten Professor vorgehen.“
Gerstendörfer bekommt für die Neuauflage ihres Buchs von Studentinnen und Frauenbeauftragten viele aktuelle Fälle zugeschickt. „Belästigung findet immer mehr im Internet statt.“ Studentinnen bekämen E-Mails, in denen sie von Dozenten oder Kommilitonen mit sexistischen Bemerkungen konfrontiert würden, erzählt Gerstendörfer. Sie fordert deswegen, dass Sexismus an der Universität wieder mehr beachtet wird. „Hier sollte die Frauenministerin von der Leyen dringend eine umfassende Studie finanzieren.“
Die Studentin Tanja Krause, der ihr Professor über die Haare strich, überlegt noch, sich offiziell zu beschweren. Auf eine Großkampagne gegen den Professor hat sie wenig Lust. „Eigentlich ist er nur ein Vollidiot.“
* Die Namen der Studentinnen wurden geändert.
NICOLE JANZ, 31, taz-Inlandsredakteurin, merkte erst im Hauptstudium, dass es kaum Professorinnen gibt