: Das abwesende Geschlecht
Ein Bad Lieutenant aus Schwerin – Henry Hübchen gibt einen brachialen Cop und bereichert mit seiner Präsenz den Mecklenburger Polizeiruf: „Polizeiruf 110 – Verloren“ (Sonntag, 20.15 Uhr, ARD)
von CHRISTIAN BUSS
Keine Frauen weit und breit. Erst mal sind sie noch unter sich, der alte und der neue Ermittler in Mecklenburg. Die Ehefrau des einen hat sich gerade getrennt, die des anderen ist nur als Foto auf dem Schreibtisch präsent. Bald sollen die beiden Polizisten eine junge Vorgesetzte bekommen, aber das dauert noch.
Der Zugezogene (Henry Hübchen) und der Alteingesessene (Uwe Steimle) haben also reichlich Zeit, sich kennen zu lernen – was darauf hinausläuft, dass sich der unglückliche Grobian aus Berlin allerlei Trivialphilosophisches aus dem Mund des Kollegen, eines notorisch aufgekratzten Spießers, anhören muss.
Emotionale Intelligenz
Der macht sich nämlich so seine Gedanken, vor allem über das abwesende weibliche Geschlecht. Er sinniert über „emotionale Intelligenz“ und wundert sich, dass in den Fernsehkrimis, die man heutzutage sieht, so viele Ermittlerinnen herumlaufen.
Die mokanten Referenzen auf aktuelle TV-Trends, die Regisseur Andreas Kleinert in den Relaunch des Mecklenburger „Polizeirufs“ eingestreut hat, sind schlüssig. Er selbst jedenfalls verzichtet konsequent darauf, die zweifelhaften Versprechungen standardisierter Krimi-Unterhaltung einzulösen. So berichtet Kleinert (nach dem Drehbuch von Beate Langmaack) in losen Erzählsträngen von einer Toten, die in einem Obstkahn einen Fluss heruntertreibt, und von einem ausgerissenen Mädchen, das ausgerechnet auf dem Hof eines alten Spanners Unterschlupf findet. Aber es geht hier nicht um Mord und auch nicht um den immer wieder gerne in Szene gesetzten Missbrauch.
„Verloren“ handelt vielmehr von der Unbehaustheit der Menschen. Der Tonfall ist elegisch, für kurze Momente flackert aber auch Zärtlichkeit auf. Trotzdem macht sich unterschwellig Gewalt breit.
Die liegt nicht in der Handlung, sondern in der Inszenierung: Streckenweise kommt der Film wie ein Amoklauf gegen die Vorgaben handelsüblicher Täterrätsel daher – und zwar nicht nur in dem Moment, in dem Henry Hübchen als Schweriner „Bad Lieutenant“ im Gegenlicht eines Dorfdisco-Stroboskops verzweifelt seinen massigen Körper zu bretterndem Techno hin und her schmeißt.
Auch die Totalen und Panoramabilder, in die hier die Figuren platziert werden, sind eine wunderbare Zumutung für den aufs kleine Fernsehformat geeichten Krimi-Fan. Die Aufnahmen der Mecklenburger Seenplatte wirken wenig idyllisch, weil die Menschen sich darin genauso verloren bewegen wie in ihren ungemütlichen, meist viel zu großen Behausungen. Viele von ihnen leben in Provisorien mit gepackten Kartons und blätternder Fassade. Der neue Ermittler etwa wird in ein heruntergekommenes Luxushotel einquartiert, das in seinem morbiden Flair an „Shining“ erinnert. Irgendjemand wollte das Gebäude mal sanieren, hatte dann aber kein Geld mehr.
Krimi-Aufbau Ost
Andreas Kleinert, der sein Handwerk bei der DEFA erlernt hat und 1999 mit „Wege in die Nacht“ das bislang nachhaltigste Psychogramm eines Wiedervereinigungsverlierers gedreht hat, liefert mit dieser „Polizeiruf“-Folge auch einen ebenso unterhaltsamen wie interessanten Beitrag zum Thema „Aufbau Ost“. Schwerin besitzt hier den Charme eines verlassenen Goldgräberstädtchens: nur Versprengte und Gestrandete, wo man auch hinguckt. Paradoxerweise erscheint das neue Ermittlerteam dabei äußerst zukunftsträchtig.
Denn der drollige, unüberhörbar aus Sachsen stammende Ost-Kabarettist Uwe Steimle, der, nach dem vor drei Jahren verstorbenen Mecklenburger Urgestein Uwe Böwe und dem eher glücklosen Westler Jürgen Schmidt, nun schon den dritten Kollegen an die Seite gestellt bekommt, harmonisiert auf eigentümliche Weise mit dem brachialen Berliner Henry Hübchen. Und in einer erfreulicherweise ganz und gar unalbernen Szene überzeugen die beiden sogar als schwules Pärchen.