: Always ultra
Männer und Frauen – in der katholischen Kirche wird ihr Geschlecht stets metaphorisch eingesetzt und vom realen Körper abgetrennt. Das behaupten auch die Gender-Theorien
Die katholische Kirche hat in den letzten Jahrzehnten einen Grad an Retro-Ästhetik erreicht, der für sich genommen fast schon wieder cool ist. Ihre geistliche Sorge gilt nicht nur dieser Welt, und so hält sie mit sagenhafter Beharrlichkeit an Positionen fest, die hienieden nicht mehr überzeugen.
Auch das kürzlich veröffentlichte und viel kritisierte Papier „Über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und der Welt“ ist ein Relikt von nur archäologisch zu nennendem Wert. Verfasst wurde es von der päpstlichen Kongregation für die Glaubenslehre unter dem 77-jährigen Kardinal Ratzinger, und es erschien pünktlich zum Fest „Mariä Heimsuchung“. Irgendwer in der päpstlichen Glaubenskongregation muss Wind von der Existenz der Gender- und Queer-Studies bekommen und die Notwendigkeit verspürt haben, die gottgewollte Zweigeschlechtlichkeit und die Würde der Frau gegen den klassischen Feminismus sowie neuere „Verwirrung in der Anthropologie“ zu verteidigen. Die kleine Schrift Nummer 166 der „Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls“ spricht daher in bekannt gesalbten Ton vom Genius der Frau, ihrer Sendung innerhalb der Familie, dem Besten ihres Lebens, das darin bestehe, sich für das Wohl des anderen einzusetzen. Sie bekundet vehement die freundliche Zusammenarbeit von Mann und Frau bei Anerkennung ihrer Verschiedenheit und mündet in einem Lob der Tugenden der Mutter Gottes: Demut und Treue – insgesamt ein recht schwammiger Text und eigentlich nicht der Rede wert.
Interessant ist aber, warum das Papier ausgerechnet jetzt erscheint. Wovor fürchtet sich der Apostolische Stuhl? Und was will er uns da eigentlich erklären? Vordergründig sieht es so aus, als schwinge sich die katholische Kirche zur Verteidigung der leiblichen Verschiedenheit auf, modern gesprochen also zur Verteidigung der Kategorie sex (biologisches Geschlecht) gegenüber gender (soziales Geschlecht). So versteht sie sich auch selbst, warnt sie doch vor den gefährlichen Konsequenzen, die es haben kann, sich vom biologischen Determinismus befreien und die Differenz der Geschlechter verschleiern zu wollen. Aber versteht sie sich da richtig? Wenn jemand Probleme mit der biologischen Geschlechterdifferenz samt der daraus folgenden fleischlichen Verirrungen hat, dann ist es die katholische Kirche. Die Argumente des Papiers laufen, bei näherer Betrachtung, gar nicht auf eine Befestigung der Kategorie sex hinaus, im Gegenteil. In gewohnt doppelbödiger Manier ist der Geschlechtsunterschied dort, wo er behauptet wird, als leiblicher auch gleich wieder zurückgenommen und ins Geistige gehoben. Die Mutterschaft, von der so schön die Rede ist, könne zu ihrer vollen Verwirklichung auch dort kommen, wo keine physische Zeugung vorliegt. Die beschworenen fraulichen Werte seien im tiefsten Grunde allgemeine, menschliche Werte. Und überhaupt stehe die gesamte Kirche mit Christus in einer hochzeitlichen Beziehung: das alttestamentarische Israel, beziehungsweise die neutestamentarische Kirche, sei die Braut, heißt es, Gott, beziehungsweise Christus, der Bräutigam. Wenn das nicht queer ist. Geschlecht ist in dem päpstlichen Papier durchweg metaphorisch eingesetzt und wird – so betrachtet – zu einer unabhängig vom materiellen Substrat frei flottierenden Kategorie, sie löst sich vom realen Körper. Das behaupten auch die Gender-Theorien.
Es gilt beides: Natürlich hält die katholische Kirche fest an einem ultrakonservativen Rollenmodell, doch gleichzeitig hat sie, aus heutiger Sicht, mehr zur Dekonstruktion von Geschlecht beigetragen, als ihr selber lieb sein kann. So vertritt sie zum Beispiel immer noch das Konzept der jungfräulichen Empfängnis zumindest einer weiblichen Erdbewohnerin. Sie setzte von Beginn an dem römischen pater familias das Bild einer sehr androgynen Jesus-Männlichkeit und eines soften Kirchen-Machismo entgegen. Sie ergeht sich in sadomasochistischen Bildwelten – auch das vorliegende Papier spricht von der „messianischen Hochzeit … wo aus dem geöffneten Herzen des Gekreuzigten das Blut … des neuen Bundes strömt“. Und die katholische Kirche hält eisern an der christlichen Berufung zur Jungfräulichkeit und am Zölibat fest, also dem Verzicht auf sexuell gelebte Geschlechterdifferenz. Das höchste Gut ist eben die Gemeinschaft mit Gott, nichtsexuell und hoch (homo)erotisch. All das gibt Anlass zu der Behauptung, das katholische Christentum propagiere von der „Normalität“ abweichende Formen von Geschlechtsidentität.
Können wir die Kirche also zur Ziehmutter der Queer-Theory machen? Natürlich nicht, sie fürchtet ja die Homo- und „polymorphe Sexualität“ nicht weniger als der Teufel das Weihwasser. Das christliche Denken schwebt zwischen Himmel und Erde, aus seiner Perspektive ist der gemeinhin als fix wahrgenommene biologische Geschlechtsunterschied die eigentlich vergängliche Kategorie. Das könnte radikal wirken, doch Pustekuchen, die konservativen Glaubenshüter benutzen nicht sex, sondern die göttliche Schöpfungsordnung, um Geschlecht zu einer ontologischen, also ewig festgeschriebenen Kategorie zu machen. Kardinal Ratzinger erzählt in einem langen Exkurs zum Alten Testament, wie Gott dem Mann die Frau als Gefährtin an die Seite gab, was – allem Geschwafel von Gleichheit zum Trotz – im Subtext dann eine eigenartige Drei-Etagen-Hierarchie ergibt: Der (männliche) Mensch verhält sich weiblich zu Gott, die Frauen verhalten sich weiblich zum Mann. Daher wäre es auch undenkbar, dass Gottes Sohn als Gottes Tochter zur Welt gekommen wäre. So queer ist man dann eben doch nicht. Die katholische Kirche de-sexualisiert und re-gendert; sie benutzt die Metapher vom Geschlechterunterschied, um das Verhältnis Gott/Mensch als ein hierarchisches darstellen zu können, und umgekehrt braucht sie das geschlechtlich gedeutete Verhältnis Gott/Mensch, um die Frauen an dem Platz zu halten, an dem sie sind.
Vom Duktus und Inhalt her klingen die Verlautbarungen Nummer 166 so, als wären die Vertreter der Glaubenskongregation seit mehreren Jahrzehnten nicht vor die Tore der Vatikans getreten. Doch das täuscht, es sind moderne und handfeste Probleme, die sie zu ihrer Stellungnahme veranlassen: die Vorstöße zur Homoehe bedrohen ihr reaktionäres Familienblild, Frauen drängen auch in der katholischen Kirche ins Priesteramt, und die sich häufenden öffentlichen Skandale glitschigen Inhalts – zuletzt die Vorfälle im Kloster St. Pölten – bringen die hehre Enthaltsamkeitsregel in Verruf. Die katholische Kirche ist wie keine unter Druck und reagiert mit dem ewig gleichen Mantra, das sich nicht ändern wird, solange Johannes Paul II. als Vertreter Gottes auf Erden weilt. Mit der Queer-Theory hat die Kirche wirklich nichts gemein, dass aber ihr Desexualisierungsprogramm in mancher Hinsicht als queere Dekonstruktion gelesen werden kann, ist ein hübscher Witz der Zeitläufe.
ANDREA ROEDIG