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: Monika Marons „Geburtsort Berlin“

Seltsam heiligmäßige Gefühle

Berlin ist eine Stadt, die schlimmes Heimweh auslösen kann. Viele Zugezogene sehnen sich in Berlin nach Landschaft, nach gutem Essen, nach kleinen Städten mit menschlichen Maßen und historischen Stadtkernen. Was aber, wenn diese Zugezogenen nach vier, acht oder zwölf Jahren wieder wegzögen? Würden sie das, was sie an Berlin so hassen – das Wetter, die Schrippenverkäuferinnen –, plötzlich doch vermissen?

Wie es wäre, Heimweh nach Berlin zu haben, dieser herrlichsten aller hässlichen Städte, die man so oft für selbstverständlich nimmt und fast nie vermisst – das ist eine seltsame Vorstellung, die Monika Marons Geschichtensammlung „Geburtsort Berlin“ sehr schön aufkommen lässt. Monika Maron ist eine der wenigen Schriftstellerinnen und überhaupt Kulturschaffenden in dieser Stadt, die in Berlin geboren sind, und deshalb ist ihr Berlin ein Berlin, das, wie sie schreibt, „von mir bevölkert ist“, in dem sie sich, wenn sie wollte, „hundertmal am Tag treffen“ könnte. Dennoch: Dass Stammgäste auf der Beerdigung ihrer Stammwirtin um ihre „verlorene Jugend“ weinen, findet man auch aus der Sicht eines „Reingeschmeckten“ anrührend und für die Zukunft denkbar. Und dass einen manchmal ein „seltsam heiligmäßiges Gefühl“ überkommt, wie Monika Maron es charmant formuliert, wenn man Orte wieder durchquert, die ganz und gar mit Geschichte verbunden sind, mit persönlicher oder miterlebter (die Teilung der Stadt im Fall Marons, die bis 1988 im Ostteil und seit 1992 vor allem im Westteil lebt) – das könnte auch die interessieren, denen langsam dämmert: Das Leben wird in dieser Stadt vielleicht nicht so provisorisch bleiben wie anfangs geplant.

Nicht dass es nicht so manche Stelle in Marons Buch gäbe, bei der man sich fragt, wie lang man eigentlilch in Berlin leben muss, um endlich seine peinlichsten Klischees überspringen zu dürfen. Für all die Stellen aber, die meinen, sie könnten noch einmal der Berliner Schnauze oder den Hundehaufen etwas Neues abgewinnen, wird man auch entschädigt: mit jenem „Kammerton A der Stadt“, den Maron anschlägt und der Leuten einen Vorgeschmack darauf gibt, wie es sich anfühlen könnte, wenn sie noch weitere acht oder zwölf Jahre blieben. SUSANNE MESSMER

Monika Maron: „Geburtsort Berlin“. S. Fischer, Frankfurt 2003, 126 S.,13 €