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Archiv-Artikel

Das Informations-Offensivchen

Die SPD kommt endlich aus dem Knick und versucht, Hartz IV den Wählern näher zu erklären – morgens an einem Weddinger U-Bahnhof. Ein Minimalerfolg für die Partei: Trotz erster Gewalt bei den Montagsdemos bleiben die Basissozis unbehelligt

„Die SPD hat bei der Information zu Hartz IV viel Zeit vertrödelt“

VON STEFAN ALBERTI

Jan Winkelmann hat es plötzlich eilig. „Den Ersten, der aus dem Bus kommt, muss man erwischen. Sonst nimmt keiner einen Zettel.“ Das ist eine alte Weisheit nicht nur bei den SPD-Genossen, die an diesem Morgen in Wedding Infoblätter zu Hartz IV verteilen. Winkelmann, 28, seit fünf Jahren in der Partei, hat Erfolg. Der Erste nimmt und auch ein Dutzend anderer, die an der Osloer Straße aus dem Bus steigen. Ein kleiner Erfolg, aber ein Erfolg. Man muss bescheiden werden in einer SPD, die in Berlin auf 17 Prozent abgerutscht ist.

Mit einer Gegenbewegung will die SPD die Anti-Hartz-Stimmung drehen. Im Bund und in Berlin. Informationsoffensive nennt sie das. Der Wedding, das ist die vorderste Front. Die Arbeitslosenquote ist mit über 25 Prozent die zweithöchste der Stadt, jeder Siebte lebt hier von Sozialhilfe. Die U-Bahn-Station, an der die SPDler verteilen, ist das mit Abstand Neueste der Kreuzung Osloer und Schwedenstraße. Ein eingerüstetes Finanzamt vergrößert die Tristesse.

Die zentrale Waffe der Offensive ist gut 20 Zentimeter lang und schulheftgroß. „Fakten und Argumente“ steht auf den gefalteten DIN-A 4-Zetteln von Winkelmann und Kollegen, darüber „Langzeitarbeitslosigkeit bekämpfen (Hartz IV)“. Ein paar hundert davon haben die Genossen von der SPD-Abteilung Luisenbad an diesem Morgen bei sich, dazu einen Stapel briefumschlaggroßer bunter Papiere.

„September 2004“ steht als Datum auf den Papieren. September. Neun Monate nach der grundsätzlichen Hartz-IV-Entscheidung im Vermittlungsausschuss des Bundestags im Dezember 2003. Einen ganzen Sommer lang hat die PDS freies Feld gehabt. „Hartz IV ist Armut per Gesetz“, hämmerten die Plakate der Sozialisten. Nichts hielt die SPD dem entgegen.

Stattdessen beklagten Spitzensozis immer wieder angebliche Verständnisprobleme. Der Protest gegen Hartz sei kein inhaltliches, sondern ein Kommunikationsproblem. Man müsse bloß besser „kommunizieren“. Seit das Wort den Weg aus der Kirche in die Politik gefunden habe, gebe es keine sachlichen Fehler mehr, sondern nur mangelhaft Kommuniziertes, ätzte die FAZ über die SPD-Wortwahl.

Die Kommunikation an diesem Morgen im Wedding ist einseitig. Die SPDler geben, viele jener, die auf dem Weg zur Arbeit sind, nehmen. Rückmeldung gibt es nicht. Einmal grinst ein Endfünfziger: „Ihr wollt wohl ein bisschen Bewegung in die ganze Szene bringen.“ Manchmal gebe es solche wohlwollenden Bemerkungen, sagt Winkelmann. Doch die kämen sowieso meist von SPD-Sympathisanten, die man nicht überzeugen müsste. Genosse Martin Roski erwartet bei Verteilaktionen wie dieser gar kein direktes Feedback. Die Leute wollten nur schnell zur Arbeit, wichtig wäre, wenn sie später lesen würden.

Die Rückmeldung erfolgt indirekt. Gut 20 Meter liegen zwischen den Genossen und dem nächsten Mülleimer, gleich unten an der Treppe zur U-Bahn. 20 Meter, das gibt Zeit genug zu klären, ob der Wisch im Abfall landet oder für später zum Lesen in der Tasche. Nach über einer Stunde wird von mehreren hundert Zetteln nur ein halbes Dutzend in diesem ersten Mülleimer liegen. Drei, vier sind im zweiten ein paar Meter weiter zu sehen.

Zehn Tage vorher hat die Berliner SPD ihre Funktionäre in Hartz-Weiterbildung geschickt. Im Abgeordnetenhaus kamen die rund 120 Abteilungschefs zusammen, um sich informieren und einschwören zu lassen, von Wirtschaftsstaatssekretär Ditmar Staffelt und dem Regionalchef der Arbeitsagentur, Rolf Seutemann. Mehr als jede zweite Abteilung würde nun für Hartz in die Offensive gehen, meldet der Landesverband. Ein paar Dutzend mit Frühaktionen wie die Genossen im Wedding, andere mit Infoständen am Samstag.

Die Aktion kommt viel zu spät. Das wissen alle, die an diesem Morgen ab halb sieben an der Osloer Straße Zettel verteilen. Das sagen sie auch. Vom einfachen Parteimitglied Winkelmann über das Abgeordnetenhausmitglied Ralf Wieland bis zum Bundestagsabgeordneten Jörg-Otto Spiller. Verschlafen habe die SPD rechtzeitige Aufklärung, zu spät sei man dran.

Das wird am Abend auch der Spandauer Abgeordnete Daniel Buchholz sagen. Viel Zeit habe die SPD bei der Information vertrödelt. „Spaltet Hartz IV die Republik?“ ist die Veranstaltung seiner SPD Haselhorst-Siemensstadt überschrieben. Mit Powerpoint und Beamer referiert Buchholz. „Das habe ich mir selbst zusammengestellt – von der Bundes-SPD gibt es so was gar nicht.“ Was Buchholz enttäuschend findet.

Am U-Bahnhof Osloer Straße ist bis kurz nach halb acht alles Infomaterial unter die Leute gebracht. Abteilungschef Philipp Steinberg ist hörbar froh, dass es ihm nicht so geht wie einem SPD-Bekannten im Osten. Den habe ein Taxifahrer nicht mitnehmen wollen, als er als Fahrziel die örtliche SPD-Zentrale angab. Ein anderer Taximann soll sich geweigert haben, von einem SPDler ein Trinkgeld anzunehmen. So will es Steinberg zumindest gehört haben. Bei der jüngsten Montagsdemonstration war es erstmals auch in Berlin zu Ausschreitungen gekommen. Flaschen und Eier flogen beim Marsch auf die SPD-Bundeszentrale. In einer Arbeitsagentur stach jüngst ein Arbeitsloser auf eine Mitarbeiterin ein.

Das alles gibt es nicht an diesem Morgen. Auch, soweit hörbar, keine „Schweine“, „Arschlöcher“ oder ähnliche Reaktionen auf die Basisvertreter der Hartz-SPD. Keine direkte Rückmeldung kann auch ein Erfolg sein. So wie ein halb leeres Glas zugleich auch halb voll ist. Irgendwann steht plötzlich doch eine blonde Frau mit Koffer bei SPD-Mann Roski. Eine Frage? Sie lächelt: „Können Sie mir sagen, wo der Flughafenbus abfährt?“