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Archiv-Artikel

Opfer und Täter

Pfleger verurteilt, aber nicht bestraft: Fahrlässige Tötung eines Behinderten durch Zivildienstleistenden

Die Täter- und die Opferrolle werden in diesem Prozess leicht vertauscht. Fest steht: Der schwerbehinderte Niels S. hat seinen Zivildienstleistenden Jörg R. im Februar 2001 überredet, ihn nackt in einen Plastiksack zu packen und auf den Müll zu legen. Offenbar fehlte dem damals 20-jährigen Jörg R. die Kraft zum Widerspruch. Für seinen Anwalt ist deshalb er das Opfer des Geschehens – dass er mit seiner Tat den Tod von Niels S. herbeigeführt hat, sei eben „passiert“.

Für die Staatsanwaltschaft hingegen hat Jörg R. eine fahrlässige Tötung begangen und „kann nicht freigesprochen werden“. So sah es auch das Landgericht – und entschied sich im gestrigen Urteil für einen Mittelweg: Es verurteilte Jörg R. wegen fahrlässiger Tötung und sah davon ab, eine Strafe zu verhängen.

Der Angeklagte habe „durch einen unglaublichen Leichtsinn verursacht, dass ein Mensch zu Tode gekommen ist“, hielt das Gericht ihm vor. Wenn Niels S. auch behauptet habe, durch die Verpackung als Müll sexuell erregt und später von einem unbekannten Dritten wieder befreit zu werden, so habe sein Pfleger doch „alle Gefährdungsmomente seines Handelns gekannt“.

Es war das zweite Mal, dass ein Hamburger Gericht über diesen Fall zu entscheiden hatte. Eine andere Kammer hatte den Zivildientsleistenden im vorigen Herbst freigesprochen. Der Bundesgerichtshof (BGH), bei dem die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt hatte, hatte den Freispruch aber aufgehoben und den Fall wieder zurückverwiesen: Jörg R. sei sich darüber im Klaren gewesen, dass der muskelschwundkranke Niels S. in der Mülltonne zu Tode kommen könne, und ein Recht auf aktive Sterbehilfe gebe es nicht.

Der Angeklagte selbst hat vor Gericht ausgesagt, er fühle sich von Niels S. „als Werkzeug“ missbraucht. Das Gericht gab aber auch der Zinnendorf-Stiftung, wo der Fall sich abgespielt hat, Mitschuld daran: „Da ist jemand in eine Pflegeaufgabe geworfen worden, von der er schlicht überfordert war.“ Elke spanner