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Archiv-Artikel

Jetzt neu: Patentsperma

Obwohl die Firma ARS bloß eine Substanz erfand, die müden Spermien Beine macht, dürfen sich die Forscher mächtig freuen: Das Patentamt verschaffte ihnen ein Patent auf die ganze Keimzelle

VON MATTHIAS URBACH

Von Zeit zu Zeit müssen wir uns fragen lassen, ob es mit dem Unterschied zwischen unserer Spezies und, sagen wir, einer Maus wirklich so weit her ist. Das Europäische Patentamt (EPA) ist da wenig zimperlich: Nach der berühmten Krebsmaus, mit der erstmals ein ganzes Säugetier patentiert worden war, vergibt es Stück für Stück auch die „Krone der Schöpfung“ an Lizenznehmer: Blut, Organe, Embryonen, Eizellen und nun auch das Sperma – oder vielmehr die Keime darin, die Spermatozoen.

Vor elf Monaten vergab das Amt an die Firma Applied Research Systems (ARS) ein Patent auf eine Methode, mit der ein Enzym namens „PI3K“ blockiert werden kann. Dadurch werden die Keimzellen im Sperma mobiler und damit fortpflanzungsfähiger. Ziel ist es, die oft enttäuschende Erfolgsrate bei Künstlicher Befruchtung (IVF) zu verbessern.

Christoph Then von Greenpeace fischte das Patent nun aus den 150 Millionen Seiten Patentschriften heraus und ist wenig erbaut: „Das Patentamt bereitet den Weg zur kommerziellen Menschenzucht“, klagt er und spricht von „industrieller Ausschlachtung“ des Menschen.

Die Aufregung ist verständlich, haben die Forscher im Anspruch Nummer 9 „Spermatozoen, erhältlich durch das Verfahren“, ins Patent eingeschlossen.

Zwar muss nun keiner fürchten, dass nach dem Liebesakt Lizenzgebühren fällig werden; schließlich geht es nur um Spermen, die künstlich mobil gemacht wurden. Etwas merkwürdig ist so ein Patent aber schon, auch jenseits ethischer Kategorien: Schließlich wüssten die ARS-Forscher nicht mal im Ansatz, wie sie Sperma herstellen sollten – künstlich, versteht sich.

Mit dem Begriff von der „Menschenzucht“ greift Greenpeace dennoch etwas weit. Then schränkt gegenüber der taz auch ein, dass er dies ARS nicht unterstellt: „Die Patentinhaber werden vermutlich nur dieses Mittel auf den Markt bringen.“ Greenpeace aber geht es um die Tendenz des Patentamtes, den menschlichen Körper mehr und mehr zum Geschäftsgegenstand zu machen.

Doch die Frage sei erlaubt, ob das denn grundsätzlich so schlimm ist – und ob dabei automatisch Zucht herauskommen muss. Seit einem Vierteljahrhundert werden Ei und Samen im Reagenzglas erfolgreich verschmolzen, um zeugungsunfähigen Paaren zum ersehnten Nachwuchs zu verhelfen. Die Prozeduren sind vor allem für die Frauen belastend, das Ergebnis ist oft negativ und die Behandlung teuer. Viele Paare werden froh sein, wenn sie dem müden Sperma des Gatten etwas auf die Sprünge helfen können.

Auch gibt es einen elementaren Unterschied zwischen nagenden und Hosen tragenden Säugern. Letztere haben Menschenrechte, die anderen nicht. Deshalb wird das Patent auf Spermien auch schwerlich die Konsequenz haben, dass ein Mensch, der mit beschleunigten Samen gezeugt wurde, später von seinen Leistungen Lizenzgebühren abführen muss – was ja bei der Krebsmaus in Prinzip so gilt: Auf alle Produkte, die aus der Forschung mit ihr entstehen, können die Erfinder dank EPA Gebühren verlangen.

Und da liegt das eigentliche Problem: Solch uferlose Patente schützen zwar die Ansprüche der Erfinder besonders gut, behindern aber alle anderen Forscher massiv. Faktisch also haben die beanstandeten Patente die Folge, dass weniger medizinischer Fortschritt möglich ist – und damit ironischerweise weniger Geschäfte mit dem Menschen.