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Archiv-Artikel

■ Den Opel an die Wand gefahren Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht

betr.: Opel-Berichterstattung bis zum 18. 10. 04

Was wollen die Gewerkschaftsbosse in den Aufsichtsräten wirklich? Alle sicher nur das Beste? Für wen? Was wäre, wenn sich die Belegschaften aller Standorte in Europa mit Bochum solidarisch verhielten und sich ebenfalls so lange „informierten“, bis sie zufriedenstellende Ergebnisse erzielt hätten? Informierten zum Beispiel über von ihnen erhobene Forderungen, das für den volkswirtschaftlichen Schaden verantwortliche Management zu entlassen, die erzielten Gewinne am jeweiligen Standort und nicht – in welcher Form auch immer – in Steueroasen oder Detroit anfallen und versteuern zu lassen, für die ausgereichten Kredite moderate Zinsen zu verrechnen, Standorte anderswo in Europa nur dann zu errichten, wenn dort –eine sozialere EU ließe grüßen! – die Löhne den alten Standorten annähernd angepasst werden? FRANZ MAYER, Hofhegnenberg

Arme Opelmitarbeiter. Die „eklatante Nachfrageschwäche“ in Deutschland führt dazu, dass sie nicht so viele Autos verkaufen, wie sie bauen könnten. Ich finde das gut. Die Autos auf den Straßen schnüren unser Leben ein. Jedes Auto, das nicht gebaut und verkauft wird, ist ein Grund zur Freude. Den privilegierten Arbeitsplatz bei Opel zu verlieren ist subjektiv natürlich besonders hart, aber Leute, die ihr ganzes Berufsleben in unsicheren Jobs verbracht haben, können nur müde darüber lächeln. Für gut ausgebildete Industriefachkräfte gibt es Besseres zu tun als Autos zu bauen. Es wäre ein Traum, wenn die Belegschaft den Mut hätte, Werke und Maschinen als Genossenschaft zu übernehmen und etwas Neues daraus zu machen. Das Schlimmste am Stellenabbau ist nicht unbedingt der Verlust des Jobs, sondern das Warten auf „Selektion“. Kommt dem zuvor und nutzt die Chance in der Krise! ROSEMARIE STEGER, München

Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. So heißt es im Grundgesetz, Artikel 14, Absatz 2. Wenn nun ein Globalkonzern wie Opel oder ein kleinerer wie Karstadt sein Eigentum nicht mehr will und die Arbeitnehmer auf die Straßen zu Hartz IV schicken möchte, weil er nicht richtig gewirtschaftet hat, dann sollen doch die Lohnabhängigen den Betrieb auf eigene Rechnung übernehmen. Das ist wirkungsvoller als jeder Streik. Bei der Übernahme maroder Betriebe ist ein symbolischer Preis von einem Euro üblich. H. BERNECKER

Die Bochumer sind es schlicht leid. Immer wieder wurde in den letzten Jahren gedroht und Angst verbreitet. Das Maß ist voll für die Opel-Belegschaft. Sie will Klarheit, was ihre Zukunft anbelangt. Und sie will diese Klarheit jetzt und nicht irgendwann. Sie lassen sich durch nichts beeindrucken. Respekt und Hochachtung! Daran sollten sich andere Belegschaften, insbesondere die Rüsselsheimer und andere „Opelaner“, ein Beispiel nehmen. Wenn überhaupt etwas zu erreichen ist, geht es nur mit konsequenter Solidarität.

Ja, die Ruhrpöttler können sehr stur sein. Und das ist auch gut so. Herr Clement, selbst ein Bochumer, bekundet Sympathie, um im gleichen Satz davon zu sprechen, dass das natürlich auch alles falsch ist. Natürlich, Herr Clement und alle anderen Volksbeglücker, in der Tat, es ist nicht nur falsch, sondern außerordentlich traurig, dass ihr offenkundig völlig den Kontakt zum Volk verloren habt.

Bei Wind und Wetter, Tag und Nacht, mit Kind und Kegel stehen sie wie Felsen in der Brandung vor den Opel-Toren. Nix geht mehr! Hut ab! Das übrige Deutschland und sogar darüber hinaus sollte sich an Bochum ein Beispiel nehmen. An der Belegschaft, wohlbemerkt, und nur an der Belegschaft. JUTTA RYDZEWSKI, Bochum

Ich muss mich doch sehr über die Reaktionen der Medien und letztlich auch der Opel-Mitarbeiter wundern. Mit großem Trara wird über deren Aktionen berichtet. Gleichzeitig denke ich daran, wie „leise“ ganze Industriestandorte im Osten „abgewickelt“ wurden. Es ging dort nicht um ein paar tausend Mitarbeiter, sondern um Millionen. Ganze Landstriche lebten von diesen Fabriken und starben regelrecht aus. Bis heute haben sie sich nicht erholt. Nach den Menschen dort hat keiner gefragt. Zugleich wird in den Medien kaum über den Opel-Standort Eisenach berichtet. Weil dort für weniger Geld mehr gearbeitet wird? Wir haben uns an „Besser-Wessi“ und „Jammer-Ossi“ gewöhnt. Aber mir scheint, wir müssen die Attribute langsam umdrehen. SEBASTIAN HOFMANN, Dresden

Die Opelaner in Bochum und Rüsselsheim haben nichts mehr zu verlieren. Sie kämpfen ums nackte Überleben und um ihren seit voriger Woche befristeten Arbeitsplatz. Wer bei Opel seinen Job verliert, wird dank Hartz IV nach einem Jahr Arbeitslosigkeit bis an sein Lebensende zum Sozialfall. Daran ändern auch Auffanggesellschaften, ABM oder die menschenunwürdigen Ein-Euro-Jobs nichts mehr. Wie schlecht die Bundesagentur für Arbeit vermittelt, hat ja der Bundesrechnungshof aufgezeigt. Der Protest der Opelaner erinnert ein wenig an den Aufstand der schlesischen Weber im 19. Jahrhundert, den Gerhart Hauptmann (1862–1946) in einem Drama beschrieb.

ALBERT ALTEN, Wernigerode

Trotz großer Reden gegen die Entsolidarisierung der Gesellschaft verschärfen die von der Regierung Schröder betriebenen „neoliberalen“ Reformen die sozialen Diskrepanzen. Die massiven Steuersenkungen und die Hartz-Reformen wurden mit dem erklärten Ziel durchgeführt, das Wirtschaftswachstum anzuregen, die gesenkten Lohnnebenkosten sollten zu mehr Beschäftigung führen. Aber: Das Wirtschaftswachstum war noch nie so niedrig, die Arbeitslosigkeit noch nie so hoch. Opel, Karstadt, Quelle, Philips, Schlecker, Spar: Immer mehr Traditionsunternehmen wollen massiv Stellen kürzen. Die Menschen haben durchaus erkannt, dass die verfehlte Reformpolitik nicht mit echtem gesellschaftlichem Fortschritt verbunden ist. Trotzdem sind sich Rot-Grün und Schwarz-Gelb im Bundestag einig, dass das neoliberale Dogma der Steuer- und Sozialabgabensenkungspolitik nicht in Frage gestellt wird. EVERT REINIER, Hamburg

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