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Archiv-Artikel

Blüht im Lichte!

Das Frühjahr drängt zum Aufhübschen und Durchrüschen. Jetzt beginnt alles neu. Zehn einfache Dinge, die man dringend braucht, um diesen Frühling zum Blühen zu bringen. Trotz Krise

VON JUDITH LUIG

1. Kleinen Wasserkrug für Pastis,damit man seinen Anisette nicht aus dem Wasserhahn verdünnen muss. Am besten in diesem Knallgelb oder Tiefmeerblau der einschlägigen Marken, das passt gut zu dem leicht milchigen Schleier, für den der Likör sorgt – auch in Fragen der Wahrnehmung. Pastis gehört zum Frühling wie das Straßencafé, in dem man ihn trinkt. Die Kännchen kann man auf dem Trödelmarkt jagen, da hat man auch gleich noch ein schönes Ausflugsziel. 2. Mitgliedschaft im Verein „Palast statt Schloss“

Falls es ihn denn geben wird. Denn einen besseren Plan als Bauen kann es für den Frühling doch gar nicht geben. Und da das Baugewerbe ohnehin mit am härtesten von der Krise betroffen ist, kann man da gleich noch einer ganzen Branche unter die Arme greifen. Wer schon mal mitfantasieren will: Gerade ist das „Bündnis für den Palast“ entstanden, rund um den Kulturwissenschaftler Robert Sommer. „Palast statt Schloss“ fordert den Wiederaufbau des Palasts der Republik (allerdings ohne die braunen Fenster, „die sind hässlich“). Es geht, so Sommer, eher um den Geist des Gebäudes. Kontakt zu den Schlossverhinderern und Ostnostalgikern gibt es unter palaststattschloss@gmx.de.

3. Seidentücher

Tücher sorgen für Aufsehen, ohne Kosten zu verursachen. Damit kann man sogar ein T-Shirt auf Divaformat trimmen. Das optimale Krisenaccessoire. Zum Beispiel die Serie „Pünktchen und Anton“ des Berliner Labels Lis: reinseidene Schals auf einer Länge von 1,50 Metern, in der Mitte in Falte gelegt, sagt der Fachmann. Der Laie würde sagen, sie werden in der Mitte schmaler. Damit kann man sich eine Stewardess-Halsschleife binden, falls man gerne nach adrettem Servicebereich aussehen mag, oder einen madamigen Turban legen, falls man was von der Stewardess ordern mag. Sollte einem der Sinn nach Frühlingsfreiheit stehen, dann macht sich das Ganze auch nett als Hippietuch im offenen Haar.

4. Giganten-Hosen

Neue Epochen wollen neue Kleider. Der Designer Christian Breil hat der Zeit eine neue Hose geschneidert. „Riata“ hat einen hohen Bund und wird mit Hosenträgern getragen. Wie Breil es formuliert, hat der Look etwas von „Nostalgiker und Schlonz in Schick“. Der Name ist inspiriert von Reata, der Ranch aus dem Filmklassiker „Giganten“ – warum sie dann nicht gleich Reata heißt, bleibt ungeklärt. Auf jeden Fall sieht der beriatate Mann mit seinem Baumwollfischgrät aus wie eine Figur aus einem John-Steinbeck-Roman: wie ein etwas verstaubter, aber durchaus kampfbereiter Glückssucher. Wer sich’s leisten kann, kauft gleich noch die Jacke dazu. Beides (Seidenschals und „Riata“-Anzug) gibt es in der Boutique Holly in Berlin.

5. Fensterputzleder

Mit durchsichtigen Scheiben wird es drinnen sofort heller, falls man mal nicht rausgehen kann. Außerdem fühlt man sich beim Fensterputzen immer sehr effektiv, da man schnell viel Veränderung sieht. Man kann natürlich auch ganz traditionell die ganze Wohnung putzen, das macht auch gute Laune (auf jeden Fall hinterher). Dann sollte man aber auf jeden Fall mit den Fenstern anfangen. Wenn die Krise zu sehr zugeschlagen hat, kann man natürlich auch mit vorher sorgfältigst gelesenen alten tageszeitungen putzen. Spart Geld und macht klug.

6. Hollywoodschaukel

Das bedachte Schaukelsofa muss man eigentlich dringend gebraucht kaufen, denn die Hersteller verzichten mittlerweile eher auf den hübschen, weißen Fransenrahmen, der die Aussicht aufrüscht. Außerdem passt ein leicht angerostetes Gestell auch besser zur Hütte in der Laubenkolonie oder zur Datsche, falls man denn eine hat. Eine Hollywoodschaukel vermittelt dem, der drinsitzt, ein leichtes Gefühl von Glamour (Hollywood), und das sanfte Auf und Ab vermittelt Schwung trotz eigentlichen Stillstands (Schaukel).

7. Swing-Tanzunterricht

Abwegige Tanzkulturen bieten seit geraumer Zeit in diversen Städten die perfekte Parallelwelt für alle, die mit der aktuellen nicht so viel anfangen können. Zur Finanzkrise wird gerade allerorten der Vergleich mit anderen Krisenzeiten dieses Jahrhunderts bemüht. Also wäre dieser Frühling der optimale Moment, um sich in die Swingwelt reinzuarbeiten. Anders als beim Salsa geht einem der Rhythmus auch nicht so schnell auf die Nerven, und auch Ungeübte können sich schnell anhand von ein bisschen Rumgewippe in die Tanzmasse einfügen.

8. Coaching

Therapie war gestern. Klingt auch eigentlich viel zu anklagend und rückwärtsgewandt. Für den Beginn eines neuen Jahres eignet sich viel besser ein Coach. Mittlerweile gibt es ja auch Coachs für jede Lebenssituation: Karrieretraining, Stilberatung, Verhaltensoptimierung. Mit einem Coach schlägt man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Er kann einem das Leben aufpäppeln, und gleichzeitig eröffnet sich damit ein schön buntes Berufsfeld für alle, die ihren Job verloren haben, deren Fachkraft jetzt nicht mehr gebraucht wird oder die jetzt einfach was anderes machen wollen. Besonders Kreative haben damit eine Chance, arbeitslose Schauspieler können Haltung lehren, auftragslose Architekten hübschen fremde Wohnung auf, und Stilberater jazzen sich durch die Garderobe von jenen, die noch genug Geld verdienen, um sich neu einzukleiden.

9. Sparschwein

Die Banken sind nicht mehr sicher, unter dem Futon stapeln sich bereits unerledigte Unterlagen, unbezahlte Rechnungen und Briefe, die man einfach nur deswegen nicht aufgemacht hat, weil sie einem irgendwie suspekt erschienen – so was stört den Liegekomfort. Da man sowieso nicht mehr viel Geld hat, kann man sich jetzt auch wieder der Piggy-Bank zuwenden. Wenn man Glück hat, findet man im Müll einer frisch pleitegegangenen Bank noch ein hübsches Exemplar, das seinerzeit dazu diente, den Nachwuchs fürs Geldsammeln zu begeistern. Das macht sich auch gut auf dem Fensterbrett neben der ebenso frisch selbst gesäten Kapuzinerkresse (Aussaat: April).

10. Gedichte

Im Fernsehen zeigt man gerade aktuelljunge Leute auf Wiesen und alte Menschen auf Bänken, wie sie „Frühling lässt sein blaues Band“ aufsagen. Das muss irgendwie kommen, so ein bisschen wie die Neujahrsansprache der KanzerlIn. Gedichte aufsagen ist eigentlich etwas wunderbares. Man kann sie vor sich her schmettern, wenn man mit dem Fahrrad die Straßen der Stadt runterdonnnert. Aber muss es immer Mörike sein? Im Wagenbach Verlag ist jetzt eine wunderbare Anthologie „100 Gedichte aus der DDR“ erschienen. Eine Sammlung von vergessenen und verbotenen und teilweise extrem bitteren Gedanken. Wem diese Innenansicht von Eingesperrten zuviel wird, der kann sich Horizont und die Hüfte mit Kamelmilchschokolade der Firma Al Nassma aus Dubai erweitern, dort soll die Krise ja noch nicht so hart zugeschlagen haben. Ein schönes Konstrastprogramm.

JUDITH LUIG, Jahrgang 1974, wurde im August 2001 durch ein Praktikum ins taz.mag gespült und war von der Spielwiese so beglückt, dass man sie bis zum bitteren Ende nicht loswurde. Seit dem 1. April ist sie nun Redakteurin bei tazzwei