: Hunger nach Arbeit
Sieben Leiharbeiter von VW-Nutzfahrzeuge wehren sich mit einem Hungerstreik gegen Entlassungen. Einer wurde bereits wegen Unterzuckerung ins Krankenhaus eingeliefert. Von der Gewerkschaft fühlen sich die Streikenden hängen gelassen
Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) will die Abwrackprämie in voller Höhe beibehalten. „Man sollte sich zu diesem Instrument bekennen“, sagte er am Freitag auf stern.de. Bislang plant die große Koalition, die Prämie in voller Höhe nur bis zum 31. Mai auszuzahlen. Für die Zeit danach gibt es noch keine Regelung. Der größte deutsche Profiteur der Abwrackprämie ist bislang Volkswagen. Niedersachsen ist an VW mit rund 20 Prozent beteiligt, Wulff sitzt im Aufsichtsrat des Konzerns. DPA
Von REIMAR PAUL
Es gibt schönere Plätze zum Campieren. Die beiden Zelte stehen am Rand eines großen Parkplatzes. Verkehrslärm dröhnt vom Busbahnhof Hannover-Stöcken herüber. Auf der anderen Seite ragt ein gewaltiger Zaun empor – das Betriebsgelände von VW-Nutzfahrzeuge.
„Deshalb stehen wir hier“, sagt Levent Tagay. Er war bis Ende März als Leiharbeiter im VW-Werk unter Vertrag. Jetzt kämpft er mit anderen Gekündigten um Weiterbeschäftigung. Sieben von ihnen traten vor einer Woche in den Hungerstreik. Isa Güner hat die Aktion abgebrochen. Er erlitt einen Schwächeanfall und musste ins Krankenhaus. Unterzuckerung diagnostizierten die Ärzte.
VW Nutzfahrzeuge kämpft mit einer drastisch gesunkenen Nachfrage. Die Marke hatte zeitweise bis zu 900 Zeit- und Leiharbeiter. Die verbliebenen 213 verloren Ende März ihre Arbeitsplätze. Etwa 90 von ihnen, sagt Tagay, hätten neue Verträge erhalten. Einigen weiteren habe man schlecht bezahlte Arbeit bei VW-Tochterfirmen in ganz Deutschland angeboten. „Einer sollte für 7,35 Euro nach Ingolstadt, für drei Monate befristet.“ Der Kollege habe Familie in Hannover, „er hat das abgelehnt.“
In den Zelten liegen die Hungerstreikenden auf Matratzen und Schlafsäcken. An die Zeltwand haben sie Ausschnitte aus Lokalzeitungen, Unterschriftenlisten und Solidaritätserklärungen angeklebt. Weiter hinten steht ein Dixie-Klo. Die Protestierenden mussten die Toilette auf eigene Kosten ordern, nachdem ihnen der Werkschutz den Zutritt zu den Waschräumen verboten hatte. „Dabei hatten wir bis Ende März gültige Werksausweise“, sagt Tagay. Doch in der Bevölkerung wachse die Unterstützung für die Streikenden, Anwohner brächten Holz und Wasser, einige hätten Geld gespendet.
Am Zaun um den Parkplatz flattern Transparente: „Solidarität macht stark“ und „Wir wollen arbeiten“. In einen Pfeiler hat jemand eine rote IG Metall-Fahne gesteckt. Dabei sind die Streikenden auf ihre Gewerkschaft nicht gut zu sprechen. „Die lassen uns ziemlich hängen“, klagen sie. Nur als der NDR da war, hätten einige Leute „aus dem Apparat“ den Weg nach Stöcken gefunden.
Uwe Stoffregen, Sprecher des IG Metall-Bezirks Niedersachsen, sagt: „Wir haben Verständnis für die Sorgen und Nöte der Leiharbeiter“. Den Hungerstreik unterstütze die Gewerkschaft aber nicht, „weil er die Gesundheit gefährdet“. Im übrigen, so Stoffregen, seien die 90 neuen Verträge unter Vermittlung von Gewerkschaft und Betriebsrat abgeschlossen worden. Für die anderen Betroffenen sehe es allerdings „eher schlecht“ aus.
Damit mögen sich die Streikenden nicht abfinden. „Wir wollen hier weiter arbeiten, wie die Stammbelegschaft ins Kurzarbeiterprogramm aufgenommen werden oder zu denselben Bedingungen in ein anderes norddeutsches Werk wechseln.“
Tatsächlich sorgt die Abwrackprämie für mehr Nachfrage nach PKWs. Nach der Kurzarbeit im Wolfsburger Stammwerk gibt es dort jetzt Sonderschichten. Um der Nachfrage nach dem Golf zu begegnen, werden im April drei zusätzliche Schichten gefahren, bestätigt eine Konzernsprecherin. Derzeit gebe es täglich bis zu dreimal so viele Bestelleingänge als sonst. Bei VW hatte es wegen der Absatzkrise Ende Februar zum ersten Mal seit 25 Jahren Kurzarbeit gegeben.
Vor einem der Zelte sitzt Tufan Cicek auf einem Campingstuhl. Er begann am Donnerstag vergangener Woche als erster mit dem Hungerstreik. Obwohl die Sonne scheint, hat er sich in Wolldecken eingemummelt. „Der zieht das durch“, sagt Tagay. Die Umstehenden nicken.