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Archiv-Artikel

Die Kräfte wecken

Die Musiktherapie zielt auf die Wiederherstellung und den Erhalt von geistiger und körperlicher Gesundheit – Methoden gibt es viele

von SARAH KALAGI

Andreas Merk hockt auf dem Boden, zwischen seinen Beinen eine Darbourka. Über die Lippen des 41-Jährigen kommt schamanenhafter Sing-Sang, während er rhythmisch auf die orientalische Trommel schlägt. In diesen Klangteppich mischt sich der gleichmäßig röhrende Ton des Didgeridoos, in das Nils Fiedler stetig hineinbläst.

Das musikalische Intermezzo demonstriert, wie sich eine musiktherapeutische Sitzung anhören kann. Andreas Merk und Nils Fiedler lernten sich auf einer Weiterbildung zum biodynamischen Körper-und Psychotherapeuten kennen und bieten seit 1994 Musiktherapie an. Diese „ist der gezielte Einsatz von Musik zur Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung von seelischer, geistiger und körperlicher Gesundheit“, so definiert es die Deutsche Gesellschaft für Musiktherapie auf ihrer Homepage (www.musiktherapie.de). Allgemein sollen psychosomatische Beschwerden, Migräne und Schlaflosigkeit gelindert oder Stress abgebaut werden. Aber auch zur Bewältigung von traumatischen Ereignissen, bei Depressionen und Lebenskrisen kann sie Anwendung finden.

Die Heilkraft von Musik – sei es durch Musizieren oder Hören – wird in nahezu allen Kulturen beschrieben. Der Zusammenhang zwischen Musik und Heilkunde reicht bis in die prähistorische Zeit zurück. Das älteste Zeugnis, ein Mammut-Schädel, der in Heil-Zeremonien als Trommel diente, ist mehr als 10.000 Jahre alt. Die Musiktherapie als eigenständiges Berufsbild entstand aber erst nach dem zweiten Weltkrieg, und das begleitende Gespräch und die Reflexion über die eigenen Gefühle kamen als wichtige Elemente hinzu. Von der Musiktherapie schlechthin kann man trotzdem nicht sprechen: Dafür gibt es zu viele verschiedene Ausrichtungen.

„Wir vertreten die biodynamische Musiktherapie mit körperpsychotherapeutischen Hintergrund“, erklärt Andreas Merk. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Verknüpfung von Körperarbeit, Bewegung und Musik. So soll die Einheit zwischen Körper, Gefühl und Seele wiederhergestellt werden. Merk erzählt von einer Frau, die sich regelmäßig die Haare ausriss. „Im Vorgespräch haben wir herausgefunden, dass dieses autoaggressive Verhalten auftritt, weil sie ihre Gefühle zurückhält.“ Der nächste Schritt sei in so einem Fall, die Gefühle wahrzunehmen und zu versuchen, sie durch die Wahl eines Musikinstruments auszudrücken, das dann als Sprachrohr dient.

„Nicht immer muss eine aktuelle oder verdeckte Krise der Auslöser für eine Musiktherapie sein“, sagt Merk. Vor allem in der Gruppe dient das Musizieren dazu, eigene Fähigkeit zur sozialen Interaktion und Kommunikation zu entdecken und gesellschaftliche Hemmungen und Ängste abzubauen. Dabei wird ergründet, welche Lebenshaltung durch Musik- und Körperausdruck deutlich wird, aber auch, wie man sie verändern kann. Ein eher zurückhaltener Mensch entscheidet sich vielleicht für eine dominante Trommel und nicht für ein feines Saiteninstrument. Die neue Erfahrung kann den Alltag beeinflussen. Der normalerweise introvertierte Trommel-Spieler merkt, dass er auch aus sich herausgehen kann.

„Oft fühlen sich die Teilnehmer aber auch vom musikalischen Aspekt angesprochen, zu dem sie teilweise ein konfliktbeladenes Verhältnis haben. Einige sind als Kinder zu sehr angetrieben worden, ein Instrument zu spielen, so dass der reine Leistungsgedanke und nicht die Lust am Musizieren im Vordergrund stand.“ Um die wieder zu wecken, kann sich jeder Teilnehmer Musikinstrumente aussuchen, auch ohne genau zu wissen, wie sie gespielt werden. So stehen auch außereuropäische Instrumente zur Auswahl, die oft mit keiner Vorerfahrung besetzt sind. „Wir haben auch Kunden, die im künstlerischen Bereich tätig sind“, weiß Merk, „und verdeckte emotionale und schöpferische Kräfte wecken wollen.“ Schließlich sei Musik der Spiegel, „von dem, was ich will und was sich in mir ausdrückt“, resümiert er. „Sie hilft auf der Suche nach mir selber.“