: Kratzen an der Oberfläche
Ein Blick hinter die Kulissen: Im Malsaal des Hamburger Thalia Theaters entstehen Bühnenbilder und Plastiken – unter anderem für die Produktion von „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“. In der Inszenierung ist das Bühnenbild eindeutig der Star
von Maren Albertsen
Es ist himmlisch. Um uns und über uns und fast bis zum Boden. Zartes Blau mit dicken Schäfchenwolken, zum Greifen nah. Und tatsächlich greifbar. Auf einer Fläche von 12x32 Metern spannt sich ein künstlicher Himmel entlang der Bühne des Hamburger Thalia Theaters. Noch ist er da nur zur Probe, genau wie die anderen Requisiten von Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Die Kulissen für das Stück, das am kommenden Montag wieder aufgeführt wird, sind fast fertig. Nur eine Kleinigkeit fehlt: „Wo bleibt denn der Mond?“, will ein Techniker wissen. Marten Voigt kennt sich zum Glück mit Himmelsgestirnen aus: „Der ist noch nicht fertig. Der steht im Malsaal.“
Also dort, wo all die Dinge entstehen, die einer Inszenierung erst die passende Atmosphäre verleihen. Rohmaterial wird so lange bemalt, bepinselt und bekratzt, bis ganze Welten entstehen. Man kann es aber auch schlichter formulieren: „Was wir machen, ist Oberflächenbehandlung“, sagt Voigt, Leiter des Malsaals. Der Weg dorthin ist ein Labyrinth aus kleinen, dunklen Gängen – ohne Hinweisschilder wäre man schnell verloren.
Mit dem Fahrstuhl geht es nach oben, vierter Stock, rechts herum. Es sieht ein bisschen kalt aus, ein bisschen unfertig, eher nach Fabrik als nach Theater. Das passt zum Malsaal, der im Grunde nichts anderes als eine große Werkstatthalle mit Atelier und hoher Decke ist. Der Boden ist mit buntbekleckster Folie abgedeckt, im Hintergrund läuft ruhige Reggae-Musik. Mitten im Raum liegt eine Spanplatte mit Blümchenmuster. „Hier hatten wir es einfach, wir mussten bloß übertapezieren“, erzählt Voigt.
Bei größeren Arbeiten wird das Material auf den Boden gelegt. Dann wird in Rastern eingeteilt, welche Motive an welche Stelle gehören, bevor die Theatermaler loslegen. Sie werkeln im Stehen und laufen dabei auf dem späteren Bühnenbild auch schon mal herum – „natürlich nur da, wo es trocken ist.“ Damit die Maler aufrecht arbeiten können, befestigen sie Bürsten, Pinsel und sogar schmale Kohlestifte an langen Stangen – so, wie es schon vor 100 Jahren gemacht wurde.
Die Tätigkeiten eines Bühnenmalers und -plastikers haben zwar schon eine lange Tradition, doch erst seit vier Jahren gibt es eine staatlich anerkannte Ausbildung für beide Berufe. Und die sind gefragt. Auch vor interessierten Praktikanten kann sich Voigt zumindest kaum retten.
Auf einer großen Pinnwand im Aufenthaltsraum des Malsaals drängeln sich Fotos von ehemaligen Aushilfen. „Und das sind bloß die, die einen Kuchen mitgebracht haben“, meint Voigt lachend. Über ihm hängen silberne Girlanden, neben ihm verzieren drei alte Adventskalender die Wand. „Vielleicht gibt‘s ja bald neue. Aber die sind doch auch schön, oder?“
Auf dem Tisch, an dem einige Mitarbeiter gerade in fröhlicher Runde Pause machen, stapeln sich Kaffeebecher, Wasserflaschen, Knäckebrot. Gemütlich. Begeistert werden Fotos von älteren Bühnenbildern gezeigt, dann wird von dieser besonderen Spritztechnik oder von jenem biegsamen Schaumstoff erzählt, dessen Anschaffung und Behandlung eine echte Herausforderung darstellte. „Aber gerade das Neue, Unbekannte macht ja den Reiz aus. Wenn man mit unterschiedlichen Materialien hantieren und sich dabei richtig austoben kann, macht die Arbeit besonders viel Spaß.“
In dem, was sie machen, sind Theatermaler natürlich eingeschränkt. Der Bühnenbildner, der meist vom Regisseur für eine Produktion mitgebracht wird, erarbeitet ein Modell, dann wird dessen Umsetzung besprochen. „Danach können wir aber schon Einfluss darauf nehmen, wie wir die Sachen herstellen.“ Das Ergebnis für „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ kann sich sehen lassen: Bei dem witzigen, temporeichen Familien- und Kinderstück ist – neben den Darstellern und Musikern – eindeutig das Bühnenbild der Star.
Einmal verwandelt sich die Bühne in das spießige Haus von Toms Tante, dann in den reißenden Mississippi, einen unheimlichen Friedhof bei Nacht oder eine dunkle Tropfsteinhöhle. Der Zuschauer kann so direkt in Toms Südstaatenwelt eintauchen und mit auf seine Abenteuerreise gehen, die von Freundschaft, Liebe, Mut und viel Musik begleitet wird.
Die Theatermaler sind mit ihrer Arbeit zufrieden. Viel Zeit, um die eigenen Werke zu betrachten, bleibt ihnen allerdings nicht. Denn die Requisiten der Stücke, die nicht mehr aufgeführt werden, müssen verschrottet werden. „Allein schon aus Platzgründen. Wo soll man die größeren Sachen sonst lagern?“ Voigt hat sich damit abgefunden. „Sobald eine Produktion beendet ist, steht schließlich gleich die Arbeit für das nächste Stück an.“
nächste Vorstellung von „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“: Mo, 8.11., 11 Uhr, Thalia Theater, Hamburg
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