: Superschlaue Deutsche
Ein Sachse verkauft ein PC-Programm, das der Stasi gut gefallen hätte. Jetzt soll es dem Volke dienen
Wolfgang Clement hat schon Recht, man soll die deutsche Wirtschaft nicht immer schlecht reden. Es gibt ja nicht nur den Herrn Auerbach am Bodensee, dem es schon graust, wenn jemand einen wirklich begabten Hacker als Lehrling anstellt. Es gibt auch René Holzer und seine Firma www.nutzwerk.de in Leipzig. Dort sitzen die Hacker ganz oben in der Direktion. Nur der Name klingt schwer nach den Wollsocken aus den frühen 80ern des letzten Jahrhunderts, aber Holzer kommt aus der ehemaligen DDR und kann deshalb gar nicht wissen, was grün-alternative Wessis damals gemacht haben. Er hat seine Firma 1997 mitten im Massenwahn der New Economy gegründet und gleich so laut auf die Werbepauke gehauen, dass der Chaos Computer Club Alarm schlug: Holzer brachte ein Programm auf den Markt, das bei den Internetprovidern den rohen Datenstrom ihrer Kunden in Realzeit filzt, ohne dass sie es überhaupt merken. Man könne damit „einfach alles“ lesen, gab der Jungunternehmer damals ungeniert zu und verstand überhaupt nicht, was daran so schlimm sein könnte.
Er versteht es noch immer nicht so recht, weil er treuherzig meint, es komme nur darauf an, dass seine Stasisoftware nicht den falschen Leuten in die Hände gerät. Die Stasi gibt es ja nicht mehr, denkt er, und ob seine Hackerei wirklich so gut ist, wie er behauptet, ist deshalb nie überprüft worden. Das macht aber nichts, Holzer verkauft sie heute mit viel kostenloser Werbung in der Presse nicht an die Profis der Provider, sondern an ahnungslose Besitzer von Aldi-PCs. Dort soll sie nun dem Volke dienen und außer Spams und Viren seit neuestem auch noch die Spione der Musikindustrie vertreiben. Holzer kassiert 5,90 Euro im Monat dafür, dass er seine Kunden über diverse andere, in aller Welt verstreute Rechner in die gängigen Tauschnetze leitet, damit dort ihre originale Internetadresse nicht mehr sichtbar ist. Leider funktioniert die Tarnung nicht so recht, weil Holzer die Investition für diese fabelhaften Anonymisierungs-Server eingespart hat. Er benutzt schlicht eine Reihe von öffentlichen Adressen, die schon lange für solche Zwecke auch ohne Holzers Spezialprogramm kostenlos angewählt werden können und deswegen ständig überlastet sind.
Schlau ist das schon, seriöser sind jedoch nach wie vor die ebenso viel gescholtenen deutschen Universitäten. Ein Programm für den anonymen Zugang zum Internet ist bei der TU Dresden kostenlos unter der Adresse anon.inf.tu-dresden.de zu haben. Dort sitzen Leute, die genau wissen, was sie tun. Sie sagen, dass ihre Software noch lange nicht ausreicht, uns vor Einbrüchen in den privaten Datenverkehr zuverlässig schützen. Aber sie arbeiten seit Jahren daran, offenbar weil sie noch nicht ganz vergessen haben, was die Stasi war – ein Nutzwerk jedenfalls nicht. NIKLAUS HABLÜTZEL