: Der absehbare Abschied vom Schülerladen
Bei der Verlagerung der Horte an die Schulen droht ein Kind der Alternativbewegung auf der Strecke zu bleiben: der Schülerladen, in dem im familiären Rahmen oftmals pädagogisch vorbildliche Arbeit geleistet wird. Jetzt regt sich Protest bei Eltern und Erziehern, doch dafür könnte es schon zu spät sein
von SABINE AM ORDE
Cornelia Sering ist besorgt. Eigentlich dachte sie, das Leben komme jetzt wieder in ruhigeres Fahrwasser. Die älteren beiden Söhne sind längst auf der Oberschule, seit dem Sommer geht auch David, der jüngste, in die erste Klasse. Nach Unterrichtsschluss läuft er mit einigen KlassenkameradInnen von der Adolf-Glaßbrenner-Schule in Kreuzberg zum Schülerladen um die Ecke, wo er den Nachmittag verbringt. David geht gern zu den „Krümelmonstern“, wie der Schülerladen heißt, da ist sich seine Mutter sicher. Und so kann die Religionslehrerin beruhigt zur Arbeit gehen.
Doch damit könnte bald Schluss sein. Denn die Existenz des Schülerladens ist bedroht. Und nicht nur seine. „In einigen Jahren wird es Schülerläden, wie wir sie heute kennen, nicht mehr geben“, sagt selbst Roland Kern vom Dachverband der Kinder- und Schülerläden (DaKS), der derzeit für den Erhalt der Läden streitet. Man kann diese Aussage noch zuspitzen: Ob es dann überhaupt noch Schülerläden gibt, muss bezweifelt werden.
Der Hintergrund: Ab dem kommenden Schuljahr sollen die Schulen für die Nachmittagsbetreuung ihrer Kinder zuständig sein, so steht es im neuen Schulgesetz. Im Ostteil der Stadt ist das bereits an den meisten Schulen der Fall, im Westteil aber steht dafür eine gigantische Umstrukturierung an: Insgesamt 33.000 Betreuungsplätze müssen von Horten und Schülerläden an die Schulen verlagert werden. Dabei können die Schulen mit freien Trägern, zu denen neben den großen Wohlfahrtsverbänden auch die Schülerläden gehören, zusammenarbeiten – auf dem eigenen Gelände oder auch in Außenstandorten, wenn der Platz in der Schule nicht reicht. Andersherum heißt das aber auch: Staatlich geförderte Plätze gibt es dann nur noch in solchen Einrichtungen, die mit einer Grundschule kooperieren. Und genau hier liegt das Problem. Denn mit der Kooperation Schule-Schülerladen tun sich alle Beteiligten schwer.
Auch Cornelia Sering will lieber, dass die kleine, autonome Einrichtung Schülerladen erhalten bleibt. Sie hat sich für alle drei Söhne bewusst dafür entschieden. „Die Situation ist sehr familiär, die Räume sind überschaubar und die Erzieher wirklich engagiert“, sagt die Mutter. „Das ist alles ein bisschen wie zu Hause.“ Bei den Krümelmonstern sind 25 Kinder, das ist für einen Schülerladen viel. Sechs Räume, unter anderem mit Werkbänken, Hochetagen und Sofas ausgestattet, gibt es in der Ladenwohnung in der Möckernstraße. Zwei ErzieherInnen, ein Mann und eine Frau, sind hier täglich für die Kinder da.
Einer der beiden ist Burkhard Hiller, der seit zehn Jahren bei den Krümelmonstern arbeitet. „Unsere Qualität liegt vor allem in der persönlichen Begleitung der Kinder“, sagt er. Und befürchtet, dass die Förderung ihrer Persönlichkeitsentwicklung, die dem Schülerladen-Erzieher besonders am Herzen liegt, im Massenbetrieb an der Schule auf der Strecke bleibt.
Im VW-Bus zum Laden
Diese Befürchtung hat bereits die erste Generation der Schülerladen-Eltern und -ErzieherInnen bewegt. Die Läden sind, wie ihre kleinen Brüder – die Kinderläden – ein Produkt der antiautoritären Bewegung. Als die Kinderladenkinder in die Schule kamen, suchten die Eltern nach neuen Wegen für die Nachmittagsbetreuung ihrer Kids. Gemeinsam überlegte man, welche Schule für den Nachwuchs geeignet sei, erinnert sich Kathrin Springer vom DaKS. „Mit VW-Bussen wurden die Kinder dorthin gebracht.“ Nachmittags sollten sie nicht in städtische Einrichtungen, denn die galten weiterhin als autoritärer Massenbetrieb. Die ersten Schülerläden wurden gegründet. Im Laufe der 80er Jahre breiteten sie sich aus.
Heute gibt es in Berlin 250 solcher Einrichtungen mit insgesamt 4.500 Plätzen, die meisten davon in Kreuzberg, Schöneberg, Charlottenburg und Wilmersdorf. In Kreuzberg bieten die Schülerläden ein Viertel aller Hortplätze an, die weitaus meisten werden in allen Bezirken von deutschen Mittelschichtkindern besetzt.
Damals wie heute wollen die Eltern mitbestimmen, und dabei nicht Störfaktor im Großbetrieb „Betreuungseinrichtung“ sein. Dafür nehmen sie häufig langwierige Elternabende sowie Koch- und Putzdienste in Kauf. Die Kinder, so das Ideal, sollen als eigenständige, ernstzunehmende Individuen wahrgenommen werden, die ihren Alltag mitbestimmen. Die Läden, meist in Altbauladenwohnungen untergebracht, sind klein und selbst verwaltet, im Schnitt werden 20 Kinder pro Laden betreut.
Die Krümelmonster-Kinder gehen je zur Hälfte zur Adolf-Glaßbrenner- und zur Charlotte-Salomon-Schule. Mit beiden Schulen, sagt Erzieher Hiller, gebe es eine gute Zusammenarbeit – doch bei den jetzt anstehenden Kooperationsverhandlungen sind sie zurückhaltend.
Rosa Strobl-Zinner, die Leiterin der Adolf-Glaßbrenner-Schule, verhandelt mit einem anderen Freien Träger über die künftige Nachmittagsbetreuung. Einem Träger, der die Betreuung aller Kinder auf dem Schulgelände übernehmen kann. Aus ihrer Sicht ist das verständlich: Die Kooperation mit einem Verein ist weitaus leichter als mit zehn kleinen Schülerläden, bei denen Autonomie groß geschrieben wird. Entscheidet sich die Charlotte-Salomon-Schule ebenso – und vieles sieht danach aus –, bekommen die Krümelmonster wohl keinen Kooperationsvertrag. Dann dürfen sie keine neuen Kinder mehr annehmen. Für die jetzigen Krümelmonster, darunter Cornelia Serings Sohn David, gibt es zwar einen Bestandsschutz der Bildungsverwaltung. Doch der gilt natürlich nur, wenn der Schülerladen nicht vorher pleite geht. Genau das aber befürchtet die Mutter: „Wenn es keine neuen Kinder gibt, blutet der Laden aus.“
Im Verbund gegen das Aus
Das ist auch den Schülerläden klar. Deshalb haben sich knapp 20 Schülerläden rund um den Mehringdamm bereits im Frühjahr zu einem Verbund zusammengeschlossen. Sie haben ein Konzept für den Offenen Ganztagsbetrieb, wie die Nachmittagsbetreuung an den Grundschulen im Fachjargon heißt, erarbeitet und Ansprechpartner für die einzelnen Grundschulen benannt. Genützt hat es bisher wenig. Bislang hat sich keine Schule zu einer Zusammenarbeit mit dem Verbund entschlossen. In Schöneberg und Wilmersdorf dagegen soll es einzelne Beispiele geben, wo sehr konkret an einer solchen Kooperation gearbeitet wird.
In Friedrichshain-Kreuzberg aber sind solche Kooperationen auch vom Bezirksamt nicht erwünscht. Die zuständige Stadträtin, Sigrid Klebba (SPD), betont zwar, dass es ihr nicht darum gehe, „die Schülerläden platt zu machen“. Sie macht aber auch keinen Hehl daraus, dass sie solche Zusammenarbeit nicht will. „Da gibt es konzeptionell ein grundsätzliches Problem“, sagt sie. „Für die Kooperationen und die Verzahnung mit der Schule braucht es eine verlässliche Struktur.“ Die scheint ihr bei den Schülerläden nicht gegeben zu sein. Zwar steht die Rahmenvereinbarung für die Zusammenarbeit zwischen Schulen und freien Trägern noch immer nicht, aber es sieht so aus, als ob das Bezirksamt ein Vetorecht erhält. Klebba könnte also Kooperationen mit Schülerläden verhindern.
Doch kampflos wollen die Läden nicht aufgeben. Nachdem bislang vor allem der DaKS und einige ErzieherInnen aktiv waren, dämmert langsam auch den Eltern, dass es eng wird für ihren Familienersatz. Jetzt regt sich Protest. In den Läden kursieren Vordrucke eines Schreibens, das die SchulleiterInnen auffordert, mit Schülerläden zu kooperieren. Eine Podiumsveranstaltung mit den politisch Verantwortlichen und eine Großdemonstration sind geplant. Cornelia Sering wird dabei sein. Dennoch fragt sie sich, ob unter den gegebenen Bedingungen der Schülerladen überhaupt noch das sein kann, was sie von ihm will.
Krümelmonster-Erzieher Burkhard Hiller würde die Veränderungen in Kauf nehmen – nicht nur, weil es um seinen Arbeitsplatz geht. Langfristig, sagt er, findet er die Einrichtung von Ganztagsschulen durchaus sinnvoll – wenn sie vernünftig geplant und gut ausgestattet sind. Auf jeden Fall aber müsse die große Erfahrung und die besondere Pädagogik der Schülerläden mit in die Schule genommen werden: „Diese Kompetenz darf nicht verloren gehen.“
Nicht alle Kreuzberger Schülerläden sind zu diesem Schritt bereit – ob sie die Chance dazu haben werden, sei einmal dahingestellt. Die „Nervensägen“ in der Katzbachstraße haben bereits beschlossen, dicht zu machen. Der Schülerladen im Mehringhof wird wieder zum Kinderladen werden. Dafür sind die Räume nicht geeignet, das hat die Aufsichtsbehörde schon kundgetan. Also muss der Laden umziehen, wenn er bestehen bleiben will. Ähnlich reagieren zahlreiche Einrichtungen. Die meisten aber wollen um Zusammenarbeit mit den Schulen kämpfen. Das machen auch die Krümelmonster.
Demonstration am Samstag, 20. 11., um 14 Uhr vom Potsdamer Platz zum Abgeordnetenhaus. Podiumsdiskussion am Mittwoch, 24. 11., um 18 Uhr im Oberstufenzentrum Wrangelstraße. Weitere Informationen unter www.schuelerlaeden.de