normalzeit: HELMUT HÖGE über Roma-Festivals
Seit 1989 werden die Rechte der Sinti und Roma verbessert. Aber im Alltag nimmt ihre Diskriminierung zu – und damit ihre Verelendung
Es ist zwar bemerkenswert, wenn nach dem EU-Beitritt der osteuropäischen Länder die „Gemeinschaft der europäischen Kulturinstitute in Berlin“ als Erstes ein „Festival europäischer Sinti und Roma“ veranstaltet – mit zig Künstlern und Vortragenden –, aber was dabei dann rauskam, war mehr als dürftig: beschämend!
Ende der Siebzigerjahre gab es schon einmal – in Westeuropa – eine Zigeuner-Solidaritäts-Offensive: von unten. Damals, im „Deutschen Herbst“, entdeckte die Linke diese „fahrenden Leute“ im Zuge ihrer eigenen Bewegung, die sie sich auch nur noch als reales „Nomadisieren“, flankiert von entsprechendem Sesshaftenhass, vorstellen konnte.
Das ist jetzt ganz anders: Zum einen handelt es sich – zumindest bei den Roma in Ungarn, Polen, Tschechien, der Slowakei usw. – um eine proletarisierte, somit zur Sesshaftigkeit gezwungene „Minderheit“, die mit der „Demokratisierung“ dieser Länder fast zur Gänze arbeitslos wurde. Und zum anderen beschäftigt man sich jetzt von oben mit „Menschenrechten“ und allerlei parlamentarischen Initiativen zur Lage der Zigeuner, wobei man ihnen primär nur statistisch zu Leibe rückt – mit anderen Worten: gar nicht!
In allen Ländern der Europäischen Union bis hoch nach Finnland betreiben nun blonde, junge Wissenschaftlerinnen Roma-und-Sinti-Forschung – zum Besten ihrer kleinen blöden Karrieren. Daneben machen sich auch noch hunderte von EU-Politikern mit dem „Zigeunerproblem“ wichtig. Unterhalb dieser entsetzlichen Existenzen dürfen dann – in den Pausen entsprechender Veranstaltungen – auch die „Betroffenen“ zu Wort kommen: mit Gesang und Tanz, in Originalkostümen und für Bargeld.
Es gibt jedoch Ausnahmen: die Romni Dr. Jana Horvathova zum Beispiel. Sie gründete 1991 ein Roma-Museum, direkt im Roma-Ghetto von Brno (Brünn). Darüber referierte sie im Senatssaal der Humboldt-Universität im Zusammenhang des Symposiums „Roma und Sinti im Europäisierungsprozess“, wozu sie Dias aus ihrem Museum zeigte. Die schienen jedoch niemanden zu interessieren, am wenigsten die gelangweilten studentischen Hilfskräfte des Symposiums, die lieber mit ihren Handys oder Laptops spielten, als zum Beispiel das Licht im Saal auszumachen, damit man überhaupt etwas von den Dias erkennen konnte.
Auch dass man danach die schlecht und auf Englisch vorgetragenen Referate der blonden Roma-Forscherinnen nicht verstehen konnte, störte keinen: Wichtig war sowieso nur ihre Veröffentlichung in irgendeiner Wissenschaftszeitung, die ausschließlich von Doktorvätern gelesen wird.
Einzig der Vortrag des ungarischen Roma-Ombudsmanns Dr. Jeno Kaltenbach im ungarischen Kulturhaus fiel etwas aus diesem völlig lächerlichen akademischen Rahmen, obwohl auch er mit Zahlen nur so um sich warf – und, selbst als er gebeten wurde, ein konkretes Beispiel für seine Arbeit zu nennen, nur wieder ein allgemeines Procedere nachzeichnete.
In summa: Seit 1989 – der Rückkehr von der Klasse zur Rasse (Ethnie) – werden überall im Geltungsbereich dieser sich erweiternden EU-Idiotie die Rechte der Sinti und Roma festgeschrieben, verbessert, erweitert – aber im Alltag nimmt ihre Diskriminierung zu – und damit ihre Verelendung.
Das „Berliner Festival europäischer Sinti und Roma“ hat das soeben noch einmal aufs schönste bestätigt. Diesen traurigen Blödsinn überhaupt „Festival“ zu nennen ist schon eine Unverschämtheit! Die ganzen Millionen von Euro, die dafür sowie zur Verbesserung der Lage der Zigeuner ausgegeben werden, kommen nur irgendwelchen für sich selbst kämpfenden Jungwissenschaftlerinnen und noch „kämpferischeren“ EU-Politikern, -Kommissaren, -Roma-Experten und -NGOs zugute.
Im Frühjahr besuchte der in Soweto (Johannesburg) lebende Fotograf Santu Mofokeng auf eigene Rechnung zusammen mit der Journalistin Sabine Vogel die „Hundeesser von Svinia“, die ärmsten unter den armen slowakischen Roma. Er wurde, weil von dunkler Hautfarbe, sofort von ihnen als „Brother“ angesehen – und war erschüttert von ihrem Dorf: Dagegen waren die südafrikanischen Schwarzenghettos die reinsten Luxussiedlungen. Kurz zuvor hatte es dort – in Trebisov – einen Hungeraufstand der Roma gegeben, wobei ein Billa-Supermarkt und mehrere Geschäfte geplündert wurden. Das geschah am Tag der Sozialhilfeausgabe, die von der rechtsnationalen Regierung um die Hälfte gekürzt worden war: 115 Euro im Monat bekommt nun eine achtköpfige Familie. Damit will man die arbeitsscheuen Wohlfahrtsempfänger „zur Arbeitssuche motivieren“ – aber es gibt keine Arbeit! Außer auf solchen bescheuerten Berliner Roma-Festivals anzutanzen.
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