: Studierende regieren beim Regierenden
30 Protestler besetzen das Rote Rathaus – und räumen Klaus Wowereits Amtssitz nach zweieinhalb Stunden wieder. Andere Streikende starten Aktionen in der ganzen Stadt. Vollversammlung der HU beschließt Fortsetzung der Proteste
Sie blieben einfach sitzen. 30 Studierende aller drei großen Universitäten wollten am Dienstagabend partout nicht nach Hause gehen, als sich die Lesung des mexikanischen Schriftstellers Carlos Fuentes im Roten Rathaus gegen 21 Uhr dem Ende zuneigte. Aus Protest gegen die Bildungspolitik des Senats besetzten sie Klaus Wowereits (SPD) Amtssitz für zweieinhalb Stunden, bevor sie die Aktion freiwillig beendeten.
„Wir sind nicht bereit, die Sparlogik der Regierung zu akzeptieren“, sagt Psychologie-Student Jan Heydenreich von der Freien Universität (FU). In einer Erklärung, die vom Balkon des Rathauses verlesen wurde, forderten die Besetzer direkte Verhandlungen mit dem Regierenden Bürgermeister und den Senatoren Sarrazin (Finanzen) und Flierl (Wissenschaft). Von der Lesung hatten sie erst am Nachmittag erfahren, entsprechend spontan fiel der Entschluss zu der Aktion. Dass die Studenten tatsächlich drinnen bleiben würden, war nicht von Anfang an klar. „Es gab nach der Lesung hitzige Diskussionen darüber, wie es weitergehen sollte“, berichtet Heydenreich. Man war sich dann schnell einig und informierte Kommilitonen außerhalb des Rathauses, die vor dem Gebäude für Unterstützung sorgen sollten. Mehrere hundert Studenten feuerten daraufhin ihre KollegInnen drinnen an.
Romanistikstudent Mario Salazar erzählt, eine „Rieseneuphorie“ habe geherrscht – und lobt ausdrücklich das Verhalten der Polizei, die sich zurückhielt und Verständnis für die Forderungen der Studenten zeigte. In der Senatskanzlei drohte man schließlich mit Anzeigen wegen Hausfriedensbruch, was die Besetzer nach zweieinhalb Stunden dazu brachte, Wowereits Heimstatt zu räumen.
Beim Verlassen des Gebäudes kam es auf der Straße zu Drängeleien. Draußen standen die Protestler so dicht, dass für die herauskommenden Besetzer kaum Raum blieb. Eine Studentin verletzte sich in dem Gedränge am Auge. Die Polizei bot den Studierenden daraufhin an, einen Demonstrationszug zur Humboldt-Uni zu veranstalten. Was dann folgte, war allerdings nach Aussagen von Beteiligten ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Uniformierten. Die Studenten fügten sich nicht der von den Beamten bevorzugten Route und änderten mehrfach ihre Marschrichtung. An der HU angekommen, dauerte es eine Weile, bis sich die Versammlung zerstreute.
Günter Kolodziej, stellvertretender Senatssprecher, zeigte sich erleichtert, dass die Besetzung friedlich und schnell beendet werden konnte: „Das ist nicht zuletzt dem besonnenen Verhalten aller Beteiligten zu verdanken.“ Die Forderung der Studenten nach direkten Verhandlungen mit Senatsvertetern konnte Kolodziej nicht ganz nachvollziehen. Wissenschaftssenator Flierl hätte den Streikenden bereits ein konkretes Gesprächsangebot gemacht, das diese aber ignoriert hätten. „Die Senatskanzlei war zur Räumungsanordnung gezwungen, solche rechtswidrigen Protestformen können wir nicht dulden“, kommentierte Kolodziej die Geschehnisse des Abends. Am Auftreten der Studenten hatte er aber nichts auszusetzen, „das war sehr gesittet“.
Auch gestern ließen sich die streikenden Studis wieder einiges einfallen, um ihren Forderungen Nachruck zu verleihen. Unter dem Motto „We kehr 4 education“ fegten sie zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor Laub in große Säcke, die später vor dem Roten Rathaus ausgeschüttet wurden. Dazu veranstalteten etwa 100 Protestler ein lautstarkes Trommelkonzert auf kleinen Mülltonnen.
Zur gleichen Zeit führte eine Fahrrad-Demo mit 200 Teilnehmern vom Brandenburger Tor zur Humboldt-Uni. Dort beschloss am Nachmittag eine Vollversammlung die Fortsetzung des Streiks.
Gegen 13 Uhr baten dann etwa 30 Studenten aller drei Unis bei der norwegischen Botschaft symbolisch um Bildungsasyl. „Das Personal war sehr freundlich zu uns“, sagte ein Sprecher der Aktivisten. Die Nacht wollten sie zeltend im Garten der Botschaft verbringen. Glühwein und Suppe sollten sie bei Kräften halten. Man hoffte natürlich darauf, dass im Laufe des Abends noch mehr „Asylanten“ dazustoßen würden. Die Stimmung war jedenfalls bestens. „Wir sind gerade dabei, uns hier häuslich einzurichten“, war am späten Nachmittag aus dem Botschaftsgarten zu vernehmen. TORBEN TRUPKE