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Archiv-Artikel

BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE Wenn die Binnennachfrage stockt

Auf dem heißen Stein fragen sich meine Freundinnen und ich: Haben die anderen auch so wenig Sex wie wir?

Mindestens die Hälfte der Frauen in meinem Bekanntenkreis haben schon mindestens zwei Jahre lang keinen Sex mehr gehabt. Und die andere Hälfte schläft garantiert nicht jede Woche mit dem Freund oder Ehemann. Kein Wunder also, dass mich Theresa aufschreckt mit ihrem Statement.

„Also, wenn man nur alle zwei Wochen was miteinander hat, dann stimmt was nicht in der Ehe“, sagt Theresa und zieht das Handtuch glatt, auf dem sie sitzt. Wir lagern auf den geheizten Steinen des „Tepidariums“ im Wellness-Center, vier Ladys in mittleren Jahren. Eigentlich würde ich lieber über Wirtschaft oder so was reden. Und nicht über Sex. Aber keine Chance.

„Alle zwei Wochen ist doch gar nicht so wenig“, meint Britt. Sie liegt rücklings auf den warmen Fliesen, ein Handtuch malerisch um die Lenden geschlungen, und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. Britt hat mir erst vergangene Woche den Stress in ihrer Ehe geschildert, der dazu führe, dass sie „höchstens achtmal“ im Jahr Sex habe.

„Unter der Woche“, hat Britt gesagt, „da geht schon mal gar nichts. Erst der Jobstress, dann die Kinder ins Bett, dann willst du doch abends deine Ruhe haben. Ein Buch lesen oder so, aber doch kein Sex. Bleibt das Wochenende. Samstagabend. Wie abgeschmackt, schon diese Erwartungshaltung, nee, also dafür ist auch Thomas zu sensibel.“ Ich schwieg.

Heute, auf dem heißen Stein, klingt Britt etwas sachlicher: „Die Anreize sind das entscheidende“, behauptet sie und dreht sich auf die Seite. Ein paar Schweißperlen rinnen ihr über das Schlüsselbein, „in Langzeitehen lässt das sexuelle Interesse nun mal nach. Irgendwie gibt es doch nach 15 Jahren keinen wirklichen Grund mehr, miteinander zu schlafen“.

„Zu schwache Binnennachfrage“, sage ich und bin ein bisschen stolz auf diesen Schlenker, „daran hängt alles, die Wirtschaft, das Sexleben …“ – „Kommt vielleicht auch auf das Angebot an“, meint Theresa, „die Produkte müssen eben weiterentwickelt werden.“ Ich will aber jedes Gespräch über Wie-rege-ich-das-Sexleben-an unbedingt stoppen. „Wenn die Produkte keiner will“, erkläre ich, „dann kannst du machen, was du willst. Den letzten VW Golf haben sie am Ende sogar mit kostenloser Klimaanlage verramscht – die Leute kauften ihn trotzdem nicht.“

Chrissy steigt auf meine Metaphorik ein: „Irgendwie klappt die Sache mit Angebot und Nachfrage nicht“, sagt sie, „das sieht man schon daran, dass Singles ja noch weniger Sex haben als Paare.“ Chrissy ist Single und hat mir neulich im Vertrauen erzählt, warum sie plötzlich den Frauenarzt wechselte. Während der Untersuchung, als sie nackt und bloß auf dem Stuhl lag, wurde sie beiläufig gefragt, ob sie „regelmäßigen Geschlechtsverkehr“ habe. Es klang so ähnlich wie „regelmäßiger Stuhlgang“. Chrissy arbeitet am Theater mit lauter schwulen Kollegen und war schon seit zwei Jahren mit niemandem mehr im Bett. Immerhin ist Chrissy die Einzige unter uns, die romantisch in einen jungen Regisseur verknallt ist, wenn auch aussichtslos.

„Wenn der Markt so schlapp ist, dann frage ich mich, woher die Zahlen aus den Sex-Umfragen kommen“, meint Theresa, „neulich habe ich es erst wieder gelesen: Im Durchschnitt haben die Deutschen 89-mal im Jahr Sex. War die Umfrage eines Kondomherstellers.“ – „Weiß man doch, dass solche Zahlen geschummelt sind, wie manche Unternehmensbilanzen“, sage ich. „Wer viel über Sex redet, bei dem passiert wenig. Hat Houllebecq mal gesagt“, behauptet Chrissy und trocknet sich mit dem Handtuch ab, „vielleicht müssen wir einfach die Klappe halten.“ – „Genial. Fast schon zenmäßig“, findet Britt, „wir müssen loslassen, um wieder anzukommen.“ Das ist das Besondere am Tepidarium: Man wärmt nur so ein bisschen auf, aber das Hirn wird nicht so vernebelt wie in der Sauna, und hinterher muss man auch nicht unbedingt eiskalt duschen. „Apropos Zen“, sagt Theresa, „die Japaner hatten laut Kondom-Umfrage nur 46-mal im Jahr Sex.“ Mit der japanischen Wirtschaft jedenfalls geht es neuerdings bergauf.

Fotohinweis: BARBARA DRIBBUSCH GERÜCHTE Fragen zur Impotenz? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander über SCHICKSAL